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Sind wir jetzt im Krieg?

Von Isolde Charim

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Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Zwischen Beschwörungsformel und dschihadistischem Drehbuch.


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So sehr man auch sucht, so sehr man auch politische Hermeneutik betreibt - den Attentaten von Paris lässt sich kein Sinn einschreiben. Sie lassen sich nicht als pervertierter Ausdruck einer Ungerechtigkeitserfahrung lesen, nicht als fehlgeleitete Rebellion gegen Armut, Unterdrückung, rassistische oder ökonomische Ausgrenzung. Selbst die, die in letzter Instanz immer "den" Westen für alles verantwortlich machen, sind verstummt. Das war ein "Töten sans phrase" (Bernd Ulrich), ein "nihilistisches Wüten" (Kenan Malik), Terror als Selbstzweck.

Genau deshalb muss man in diesem Zusammenhang auch mal vom historischen, vom epochalen Versagen der Linken reden. Denn natürlich gibt es das alles: Ausgrenzungen, ungerechte Verteilung der Ressourcen, Unterdrückung. Natürlich gibt es die trostlosen Banlieus, die Armenviertel, die ungelöste soziale Frage. Und natürlich erzeugt das Unmut, Verzweiflung, rebellische Energien. Aber nichts davon konnte in ein emanzipatorisches Projekt übersetzt werden. Dessen politische Formen, dessen politische Erzählungen kommen überhaupt nicht mehr vor. Wer erinnert sich noch an die zarten Hoffnungen des "arabischen Frühlings"? Stattdessen hat sich die Religion als Medium des Konflikts, hat sich die religiöse "Artikulierung" durchgesetzt. Wenn Slavoj Žižek heute schreibt, wir müssen den Klassenkampf wieder auf die Tagesordnung setzen, dann klingt das wie eine Botschaft vom Mars.

Die Attentate seien, so Wolfgang Sofsky, reiner Terror gewesen, "keine Provokation, keine Propaganda der Tat" - also nichts, was der alte, europäische Terrorismus für sich in Anspruch genommen hat. Damit waren sie nicht nur eine Absage an eine, an unsere Lebensform. Sie waren auch eine Absage an alles, was wir noch irgendwie unter Politik verstehen. Anders gesagt: Sie waren eine Feinderklärung.

Aber genau das ist es: SIE machen eine Feinderklärung. SIE versuchen einen Kulturkampf daraus zu machen. Die Dschihadisten versuchen, eine Front zwischen "dem" Westen und "dem" Islam zu eröffnen. Krieg ist ihr, Krieg ist das dschihadistische Drehbuch.

Und wenn jetzt vom Papst abwärts "Krieg" gerufen wird. Und wenn jetzt in der Presse - vor allem in der deutschsprachigen - die Rede vom Krieg zurückgewiesen wird. Wenn also die Situation so un-eindeutig ist, dass man nicht einmal weiß, ob wir jetzt im Krieg sind oder nicht. Dann wird klar, dass "Krieg" vor allem eine Beschwörungsformel ist.

Eine Formel, die an das gesellschaftliche Unbewusste andockt, um das Martialische wiedereinzuführen. Das Wort Krieg täuscht aber darüber hinweg, dass es jetzt vieler Gegenstrategien bedarf. Es braucht militärische und diplomatische Gegenstrategien, um den IS zu bekämpfen. Denn die territoriale Verankerung des Terrorismus bedeutet nicht nur, dass ein ganzes Gebiet der Barbarei überlassen wird. Es bedeutet auch, dass der weltweit agierende Terrorismus viel dauerhafter agieren kann als sein nomadischer Vorgänger. Aber das Wort vom Krieg verdeckt, dass das Vorgehen gegen den Islamismus auch einer ganz anderen Art vom Kampf bedarf: jenen gegen den IS in den Köpfen. Die Büchse der Pandora ist geöffnet. Sie wird sich nicht rein militärisch schließen lassen. Auch wenn die Beschwörungsformel "Krieg" uns das glauben macht.