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Gehen wir einem Zeitalter der geklonten und vorprogrammierten Menschen entgegen? Johannes Huber ist Professor an der Wiener Universitäts-Klinik für Frauenheilkunde und leitet dort die Klinische Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Sterilitätsbehandlung. Der Vorsitzende der Bioethik-Kommission der Bundesregierung, der neben dem Medizin- auch ein Theologiestudium abgeschlossen hat, gab der "Wiener Zeitung" das folgende Interview.
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"Wiener Zeitung": Herr Professor, dringt heute die Medizin nicht in Bereiche vor, die moralisch äußerst bedenklich sind? Zum Beispiel beim Klonen?
Johannes Huber: Wenn Sie mit einem Wissenschaftler aus Singapur reden, dann sagt der: Ich kann eure ethische Diskussion überhaupt nicht verstehen. Bei uns ist Klonen eine Form der Wiedergeburt, und für uns ist es ethisch und moralisch und auch religiös überhaupt kein Problem. Und wenn Sie mit einem Wissenschaftler aus Neu Delhi sprechen, dann wird er die Chimärenbildung, die für uns ein "Noli me tangere" ist, auch akzeptieren, weil für ihn zwischen Mensch und Tier kein wirklicher Unterschied besteht.
Man muss sich hüten, die europäische Ethik als die Ethik der Welt anzusehen. Ich selbst habe natürlich auch große Probleme mit Chimären. Ich lehne sie auch ab, ich lehne auch das Klonen ab, aber aus der Sicht des Europäers, geprägt durch die europäische Ethik, aber dass heißt nicht, dass das die Ethik der Welt ist.
Ist eine Weltethik auf diesem Gebiet daher auszuschließen?
Die halte ich für nicht wahrscheinlich. Die einzige Weltethik könnte sich meines Erachtens auf Epikur beziehen. Dass ich nichts machen soll, was dem anderen Schaden und Leid zufügt. Das ist die Botschaft von Epikur. Da könnte ich mir vorstellen, dass sich ein Weltethos darauf einigt, obwohl auch das nicht so hundertprozentig ist. Aber wenn man die Welt, die unterschiedlichen Kulturen, die unterschiedlichen Religionen, auf ein Grundethos verpflichten könnte, dann auf diesen Satz von Epikur.
Kann man wirklich schon Menschen klonen? Ist es Ihrer Meinung nach schon passiert?
Wahrscheinlich ist das mit der Sekte ein Schmäh, aber es ist anzunehmen, dass das nicht lange auf sich warten lässt. Ich lehne es zutiefst ab, aber die Erderwärmung stellt eine wesentlich größere Gefahr für unseren Planeten dar. Sie wird viel mehr Probleme schaffen, auch im Hinblick auf die Biologie, weil sich die Mikroorganismen verändern. Die Evolution verändert sich, die Bakterien verändern sich, die Viren verändern sich, Seuchen werden auftreten, weil einfach das alte Ambiente nicht mehr da ist. Nur, der Weitblick der Menschen reicht dorthin nicht, daher erkennen sie auch diese wirklich große Gefahr nicht als Gefahr.
Sie sehen das, was sich in ihrem Umfeld ereignet und wo Dracula möglicherweise in zwei Jahren Realität wird. Und da ist der geklonte Mensch natürlich der Prototyp des Bösen. Das ist er nicht.
Ist der geklonte Mensch wirklich ein identisches Abziehbild?
Der geklonte Mensch ist nicht identisch, weil er auch Unterschiede hat. Er ist ein Zwilling, der epigenetische, also umweltbedingte, Code ist unterschiedlich. Abzulehnen ist Klonen vor allem deshalb, weil es unsicher ist, weil es die Mutter in Gefahr bringt, dass sie Krebs kriegt, und das geklonte Kind bringt es in Gefahr, schwerst krank zu werden. Aber selbst wenn dieses Problem gelöst ist und wenn man dann gesunde Kinder mit gesunden Eltern klonen würde, würde ich es ablehnen, weil es menschliches Leben instrumentalisiert. Aber die große Katastrophe für unseren Planeten wäre es nicht.
Aldous Huxley hat ja gesagt, das werde dazu führen, dass es Menschenfabriken gibt ...
Es wird Menschenerkennungsanstalten geben, weil sich nach dem Genom-Mapping jetzt auch das Brain-Mapping etabliert und man voraussagen kann, welcher Typ ein Mensch ist, wie er seelisch reagiert, wie er im Stress reagiert, welchen Einfluss die Geschlechtshormone bei ihm im Gehirn haben, ob er mehr egozentrisch, aggressiv oder altruistisch ist. Das ist ja alles genetisch gesteuert, und das liegt in den Polymorphismen, man kann das im Gen sehen. Das ist die viel größere Gefahr, und das ist ante portas. Ich hole mir von Ihnen eine Mundschleimhaut und kann dann genau sagen, in der Situation werden Sie so reagieren, in der so und so weiter. Sie haben von den Neurotransmittoren eher eine altruistische Art, Konflikte zu lösen, oder Sie haben eher eine aggressive Art. Und das ist nicht mehr Utopie, das kann man teilweise schon.
Glauben Sie, dass es auf diesem Gebiet dringend rechtlicher Maßnahmen bedarf?
Was das Klonen betrifft, ist sowieso geregelt, dass man das nicht machen soll. Wenn Österreich jetzt die Bioethikkonvention unterschreibt, dort ist ja das Verbot drinnen.
Das Recht wird aber immer nachhinken, und die Situation wird so komplex, dass das Recht das wahrscheinlich gar nicht mehr wird abdecken können. Ich glaube zwar, dass Verbote wichtig sind, aber letzten Endes verhindern sie nicht den Missbrauch. Den Missbrauch verhindert nur eine kollektive Bewusstseinshaltung oder -veränderung der Menschen.
Die von Huxley beschriebene Entwicklung, dass es überhaupt keine Normalgeburten mehr gibt - sehen Sie die auch kommen?
Die Kinder werden immer größer und der Geburtskanal bleibt gleich. Bei uns sind in den letzten 50 Jahren die Kinder durchwegs größer, schwerer und mit einem breiteren Schulterumfang versehen geboren worden. Und deshalb ist die Frage, ob die vaginale Geburt letzten Endes die Geburt der Wahl bleibt. Denn der Beckenring der Frau bleibt gleich. Möglicherweise wird der Kaiserschnitt Standardmethode, wenn die Kinder alle größer werden. Und da glaubt man auch, dass der epigenetische Code dafür verantwortlich ist. Das ist nicht nur dadurch erklärbar, dass die Frau mehr isst, das sind schon Veränderungen in der Evolution. Nicht weil man mehr isst, werden die Kinder größer, sondern weil dieses Mehr-Essen eine Veränderung der Genumlagerung bedingt.
Man hat lange gestritten, ob der genetische oder epigenetische Code mehr Einfluss hat ...
Die Gene sind mehr entscheidend. Prozentuell mindestens im Verhältnis 60:40 oder sogar 70:30.
Wo sehen Sie in naher Zukunft die wichtigsten Probleme?
Ich nenne Ihnen drei Themen, von denen ich glaube, dass sie wirklich welt- und bevölkerungsverändernd sein werden.
Das erste ist, dass man die Evolution modifiziert und beeinflusst, indem man durch Genveränderungen auch das Heranreifen des Kindes in der Schwangerschaft verändern kann. Das heißt: Das Kind hat mehr Gehirnwindungen, hat ein größeres Gehirn. Das wird im Tierversuch bereits erfolgreichst gemacht. Das sehe ich als wirkliche Gefahr, weil man damit in die Evolution eingreift, aber auch einen Benefit hat, etwas, was einen Vorteil bringt: Man hat gescheitere Kinder, man hat Schachweltmeister. Wer dann kein großes Gehirn hat, ist der Neandertaler. Ich möchte gar nicht weiterreden, was das bedeutet.
Das zweite ist, und auch das ist nicht mehr Utopie, sondern Realität, dass man durch die Phasendetektion im Genom die Identität eines Menschen erkennt und auch weiß, wie er psychisch reagiert. Man hat sicher auch einen Vorteil und kann wirklich Prävention betreiben, wenn ich weiß, dass ich zu Parkinson oder Alzheimer neige.
Und das dritte ist: Laut Berechnungen der WHO wird das Alter der Menschen ab 2010 in den G-7-Staaten explosionsartig zunehmen und sich die Zahl der Über-85-Jährigen vervielfachen.
Das sind für mich die wirklichen Probleme. Es würde sich lohnen, über die zu reden,
Welchen Wunsch haben Sie hinsichtlich der Entwicklungen in Ihrem Fach?
Ich würde mir wünschen, dass die Menschen in Österreich nicht nur über einen schöneren Urlaub oder ein besseres Auto nachdenken, sondern auch über menschliche Werte. Ich wünsche mir, dass man darüber redet und nicht - verführt durch einen auch politisch geprägten Materialismus - nur den eigenen Vorteil im Auge hat und sonst nichts mehr. Wenn nur mehr der Besitz, das Geld, der Wohlstand der Sinn des Lebens ist, und so wird es uns und den jungen Menschen vermittelt, dann zählt wirklich nur noch das etwas, was mir Wohlstand bereitet. Aber nicht vom Brot allein lebt der Mensch.