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Kaum Interesse der Pharmakonzerne an neuer Pille, da sie zu wenig Profit verheißt. | Verfügbarkeit des Medikaments könnte auch ungesunden Lebensstil fördern. | London. Fünf Wirkstoffe, vereint in einer Tablette, die Cholesterin und Blutdruck senken, könnten Briten über 50 Jahren verabreicht werden. Die Pharmakonzerne zeigen aber kaum Interesse an der Kombi-Pille, da sie nur wenig Profit verspricht.
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Schon vor sechs Jahren, als die Idee erstmals im British Medical Journal lanciert wurde, war von einer Revolution die Rede. "Möglicherweise der wichtigste Bericht, den die Zeitschrift in den vergangenen 50 Jahren veröffentlicht hat", hieß es darin. Eine Wunderpille für alle über 50 Jahren sollte Herzerkrankungen um 80 Prozent reduzieren helfen. Es wäre ein Meilenstein im Kampf gegen die häufigste Todesursache der westlichen Welt.
Getan hat sich seitdem wenig. Der Grund: Das Wundermittel würde nur wenig kosten, die Profitmargen wären damit zu klein. Die Wirkstoffe sind seit Jahren bekannt, günstig zu produzieren und ihre Patente längst abgelaufen.
Die Poly-Pille enthält Aspirin als Gerinnungshemmer, Statine als Cholesterinsenker, drei Blutdrucksenker sowie Folsäure, ein Wirkstoff, der den Homocysteinpegel im Blut reguliert und ebenfalls Herzerkrankungen vorbeugt. Jetzt belegt eine Patienten-Studie erstmals die Wirksamkeit der simplen Kombination.
Wirkstoffe gegen Killer Nummer eins
Wie die britische medizinische Zeitschrift "Lancet" berichtet, nahmen 2000 indische Testpersonen zwölf Wochen lang die Wunderpille ein. Dabei wurde eine Senkung des Cholesterin-Spiegels sowie des Blutdrucks festgestellt - vergleichbar mit der Wirkung, die bei der einzelnen Aufnahme der Wirkstoffe zu erwarten wären.
Forscher von der kanadischen McMaster Universität und dem St. John Medical College im indischen Bangalore waren von den Ergebnissen beeindruckt. Da Patienten "das Einnehmen mehrerer Tabletten gewöhnlich schwerfalle, könne die Kombi-Pille die Einnahme und damit ihre Wirkung wesentlich erhöhen."
Davon kann Bob Bryant ein Lied singen: Der 62-Jährige, der bereits sechs Schlaganfälle hinter sich hat, muss täglich acht verschiedene Tabletten einnehmen. Ein Kombi-Medikament "würde mir das Leben wesentlich leichter machen und auch Geld für jedes Rezept sparen", so Bryant.
Auch Professor Malcolm Law von dem Londoner Wolfson Institut ist von der aktuellen Studie beeindruckt: "Sie beweist, das sich das Medikament herstellen lässt, dass es funktioniert und keine Nebenwirkungen hat." Professor Law hat sich bereits bei der britischen Gesundheitsbehörde für eine Lizenz der Poly-Pille starkgemacht. Doch es hapert bei der finanziellen Unterstützung. Jetzt sollen Wohltätigkeitsverbände ins Boot geholt werden.
Das Londoner Imperial College testet bereits eine Tablette mit vier Wirkstoffen in Zusammenarbeit mit zwei britischen Gesundheitsverbänden, dem britischen Wellcome Trust und der British Heart Foundation. Die "Red Heart Pill" (Rote Herz-Tablette) würde nur 15 Euro pro Person pro Jahr kosten. Nach Ansicht von Professor Simon Thom könnte es allerdings noch mindestens fünf Jahre dauern, bis die Forscher genug Daten haben, um bei den Behörden eine Lizenz der Poly-Pille zu erwirken.
Es gibt auch weniger positive Stimmen
Eine Massenverschreibung für alle älteren Menschen hat es in Großbritannien bislang noch nicht gegeben. Viele Ärzte sind der Idee positiv gegenüber eingestellt. Schließlich lassen sich Herzerkrankungen nur schwer im Voraus diagnostizieren. Bei jedem dritten Schlaganfall gibt es keine warnenden Anzeichen, jeder dritte Betroffene stirbt an den Folgen. Eine Pille für alle könnte die besonders Gefährdeten besser schützen.
Aber es gibt auch Stimmen, die der medizinischen Wunderwaffe weniger positiv gegenüberstehen. Kritiker meinen, Herzerkrankungen und ihre Auslöser sollten durch eine gesunde Ernährung und Bewegung bekämpft werden.
Die Gefahr bestehe, dass "Lebensgewohnheiten zugunsten einer Pillen-Einwerf-Kultur in Vergessenheit gerieten", sagt Mike Rich vom britischen Blutdruck-Verband. Möglicherweise ein kleiner Preis, wenn weltweit Millionen gerettete Menschenleben in Aussicht stehen.