IWF-Direktor José Viñals warnt vor Verschärfung der Vertrauenskrise. | Fonds: Banken im Ernstfall mit Verstaatlichung und Euro-Rettungsschirmunterstützen. | Hohe Staatsschuld erhöht für Banken die Finanzierungskosten, das erhöht wiederum die Kredite.
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Washington. Es klingt verrückt, genauso verrückt wie die Finanzwelt ist: Im Ernstfall sollen europäische Staaten (auch via Euro-Rettungsschirm) die europäischen Banken kapitalisieren, damit diese Abschreibungen auf europäische Staatsanleihen aushalten, die sie wegen der verminderten Kreditwürdigkeit europäischer Staaten vornehmen müssen. . .
Dies bezeichnete José Viñals, Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), als "letzte Haltestelle", bevor Banken ihre Geschäfte nicht länger finanzieren können.
Lieber das verrückte Spiel mitmachen als große politische Verwerfungen riskieren, scheint sich auch die IWF-Chefin, Christine Lagarde, zu denken. Im globalen "Finanz-Stabilitätsbericht" warnt der Fonds vor einer deutlichen Kapitallücke bei europäischen Banken. Grund: In den Bankbilanzen schlummern Staatsanleihen von europäischen Schuldnerstaaten in Höhe von Tausenden Milliarden Euro. Ein Teil davon müsste abgeschrieben werden, in Summe wird das Risiko mit 300 Milliarden Euro beziffert.
In der EU wird ein hoher Kapitalbedarf verneint, allerdings räumte mittlerweile auch EU-Kommissar Joaquín Almunia ein, dass mehr als jene neun Banken, die beim EU-Stresstest im Juli durchgefallen sind, Kapitalbedarf haben. Viñals: "Seither haben sich die Bedingungen verändert." Vor allem an der "Peripherie", also im Süden Europas, gibt es Probleme. Der Währungsfonds rief nun eindringlich die EU auf, schnell und konzertiert zu handeln. "Der Fonds übt keinen Druck aus, er sagt bloß: Wir stehen hinter eurer Strategie, aber sagt uns die Strategie", sagte ein Verhandlungsteilnehmer in Washington.
Viñals sieht die Politik gefordert, um die Vertrauenskrise zu beenden. Seine Logikkette: Die Staatsschulden führen zu hohen Zinsen, diese privatwirtschaftliche "Zinserhöhung" schwappt auf die Banken über und macht Kredite teurer. Und das wieder führt zu einem niedrigeren Wirtschaftswachstum und steigenden Arbeitslosenzahlen.
Mit Italien wackelt Paris
Die jüngste Herabstufung der Kreditwürdigkeit Italiens hat in diese Debatte eine neue Qualität gebracht. Französische Banken halten mehr als 500 Milliarden Euro in italienischen Staatsanleihen. Der Chef der Banque de France, Christian Noyer, musste extra ausrücken, um zu erklären, dass die Banken des Landes ausreichend kapitalisiert wären.
Der Grund für die Nervosität ist leichter zu erklären als die Banken-Debatte selbst: Banken sind - selbst wenn sie in privaten Händen sind - eng mit der Politik des jeweiligen Heimatlandes verbunden. Sie kennen die Firmenstruktur ihrer Märkte, und auch die Qualität der Privatkundschaft. Sie vergeben Kredite, verkaufen private Pensionsvorsorgen, regeln den Geldverkehr - und handeln mit den jeweiligen Staatspapieren. Schwache Banken bedeuten eine schwache Wirtschaft. Wenn diese Banken dauerhaft schwach sind, bedeutet das dauerhafte Schwäche der Wirtschaft. Und die Wachstums-Zahlen, die 2012 und möglicherweise in den Folgejahren drohen, werden die Arbeitslosigkeit in den Industrieländern steigen lassen - vor allem auch die Jugendarbeitslosigkeit.
Also versucht der IWF, die Banken so stark zu kapitalisieren, wie es möglich ist. Die Erste Bank etwa kommt - ohne Staatskapital - auf knapp sieben Prozent. Die Märkte verlangen aber zehn Prozent - der Unterschied macht Milliarden aus. Wer diese Werte nicht erreicht, wird an der Börse mit niedrigen Kursen abgestraft, dadurch werden Kapitalerhöhungen unmöglich. "Ein Teufelskreis, der so rasch wie möglich durchbrochen werden muss", sagte ein Experte des Währungsfonds in Washington.
Die Forderung nach einer Ausweitung des Euro-Rettungsschirms unter Zuhilfenahme der Europäischen Zentralbank wird in Washington die Europäer begleiten. "Es drohen sonst Maßnahmen gegen die Triple-A-Staaten, und die tragen den Euro-Rettungsschirm ja", beschreibt ein Tagungsteilnehmer die Situation. Derzeit jedenfalls regiert in Europa die Uneinigkeit. Bei den Beamten des Finanzwesens macht sich der Galgenhumor breit: "Es ist wie eine Bruch-Rechnung, der Zähler und Nenner verloren gehen."
In Bank-Kreisen wird dies offiziell nicht so gesehen, in Wien und Frankfurt hagelte es Kritik am zusätzlichen Kapitalbedarf.
Risiko steigt
Im täglichen Geschäft allerdings schaut es differenzierter aus. Die Banken sind vorsichtig geworden im "Interbankenhandel", also der Verleihung von Geld zwischen Geldhäusern. Denn das Volumen der "hochverzinsten" Staatsanleihen hat sich - wegen der Verschlechterung der Bonität der Staaten - deutlich erhöht. Waren es im April 2009 erst fünf Prozent der europäischen Staatsanleihen, sind es derzeit 46 Prozent. Das Volumen der Staatsanleihen liegt bei 6500 Milliarden Euro.
Dass die USA mit ihrem hohen Defizit und der großen Verschuldung der privaten Haushalte die Situation noch verschärfen, beruhigt die Experten vom Währungsfonds jedenfalls nicht. "Die Politik hat zur Vertrauenskrise beigetragen, nun muss die Politik die Ursachen beseitigen. Und das sind die aus dem Ruder gelaufenen öffentlichen Haushalte", sagte Viñals.