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"Single European Sky" kontra Flug-Fleckerlteppich

Von Gerhard Stadler

Analysen

Das jüngste Chaos im europäischen Luftverkehr durch die Vulkanaschewolke aus Island hat offen gezeigt: Eine einheitlichere Flugsicherung ist unbedingt nötig.


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Während für Bahn- und Autoreisen die Staatsgrenzen in der EU seit Inkrafttreten des Schengen-Abkommens längst Geschichte sind, gibt es sie in der Luft noch. Im Wesentlichen folgen die Grenzen der nationalen Flugsicherungen in Europa nach wie vor den Staatsgrenzen. Ein Beispiel: Die Lotsen der Austro Control übernehmen ein von Budapest nach London fliegendes Flugzeug über dem Neusiedlersee von den Ungarn und übergeben es 20 Minuten später bei Passau an ihre deutschen Kollegen, diese am Rhein an die französischen und so fort. Nur in wenigen Fällen gibt es "Delegationen", etwa für den Osten Sloweniens an Österreich und für Tirol und Vorarlberg an die deutsche Flugsicherung.

Kontrolle konzentrieren

Sinnvoll wäre es, die Zahl von derzeit über 60 Luftraumkontrollzentren (Area Control Centers - ACC) in Europa auf zirka 10 zu reduzieren - die USA haben bei etwa dem gleichen Umfang des Luftraums und der gleichen Anzahl der Flugbewegungen 8 ACC. Durch solche Zusammenlegungen könnten vor allem Entscheidungen vereinfacht und Friktionen bei den "Grenzübergaben" verringert werden. Dass dies bisher nicht geschehen ist, hing mit der mangelnden Zuständigkeit der EU zusammen (ein einziger Luftraum ohne die Schweiz und die Balkanstaaten ist undenkbar) und mit Eigeninteressen der Staaten: Derselbe Luftraum wird von zivilen wie von Flugzeugen der nationalen Luftwaffe benützt, gegenüber der Weltzivilluftfahrtorganisation ICAO trägt jeder Staat die Verantwortung für die Sicherheit in und die Benützbarkeit seines Luftraums.

2007 durchquerten an Spitzentagen bis zu 32.500 kommerzielle Flüge den europäischen Luftraum, insgesamt mehr als 10,5 Millionen. Seither sind diese Zahlen um zirka 10 Prozent zurückgegangen. Die Standardisierung der Flugsicherungstechnik, die Harmonisierung der Verfahren und die Koordination der Flüge durch die Verkehrsflusssteuerungszentrale CFMU haben sich in den letzten Jahren wesentlich verbessert. Damit wurde die Sicherheit der Flüge erhöht, ihre Effizienz gesteigert und Verspätungen verringert. Aktiv war dabei primär die Europäische Flugsicherungsorganisation Eurocontrol in Brüssel. Mit ihren 38 Mitgliedstaaten reicht ihr Wirkungsbereich weit über die EU hinaus, inklusive der Türkei. Aber Eurocontrol ist keine Behörde, sondern kann nur empfehlen; Entscheidungen werden von den nationalen Luftfahrtbehörden und Flugsicherungen getroffen.

Einheitlicher Luftraum

Hatte die EU bereits 1992 einheitliche Vorschriften für Lizenzen, Operations und Überwachung von Fluglinien eingeführt, so erfolgte dies für die Flugsicherungen erst 2004. In diesen Verordnungen zu einem Einheitlichen Europäischen Luftraum ("Single European Sky") wurde auch die Internationalisierung der Flugsicherung propagiert; deren Rayone sollten künftig nicht durch Staatsgrenzen definiert werden, sondern als sogenannte funktionale Luftraumblöcke, organisiert nach Verkehrsströmen.

Doch die Staaten und deren Flugsicherungen reagierten nicht. Daher wurde die EU Ende 2009 direkter und stringenter: Bis Ende 2012 haben sich die Staaten und Flugsicherungen auf von den Staatsgrenzen unabhängige funktionale Luftraumblöcke zu einigen. Auch ein Europäischer Flugsicherungs-Masterplan mit der Festlegung von Effizienzkriterien und ein einziges Netzwerk-Management sind einzurichten, und die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, in der ICAO gemeinsam vorzugehen. Diese Verpflichtungen können auch auf die Schweiz und die Staaten des Westbalkans ausgedehnt werden. Folgt ein EU-Mitgliedstaat nicht der neuen Verordnung, kann er wegen Vertragsverletzung vor dem EuGH geklagt werden.

Eurocontrol und die Europäische Flugsicherheitsagentur EASA haben die Europäische Kommission bei der Realisierung der neuen Bestimmungen zu unterstützen. Wären sie bereits umgesetzt worden, so hätte das Luftverkehrs-Chaos Mitte April infolge der Aschewolke wohl nicht solche Dimensionen angenommen. Die europäische Flugsicherung war darauf weder organisatorisch noch rechtlich vorbereitet, sondern wurde auch von dem bisher völlig neuen Gefahrenszenario überrascht.

Die Sicherheit geht vor

Beim möglichen Ausfall der Flugsicherung in einem Staat, etwa wegen einer Streikdrohung, gibt es in Brüssel Simulationen für alternative Flugrouten, um einen Minimum-Betrieb aufrechtzuerhalten. Die Aschewolke traf Europa hingegen "aus heiterem Himmel". Aber: Da die Sicherheit der Passagiere für die Flugsicherung immer oberstes Gebot sein muss, werden bei einer Wiederholung eines solchen Bedrohungsszenarios Luftraumsperren (wie jetzt in Irland) wieder möglich bzw. notwendig sein; die Verantwortung für Flüge in solchen Gefahren kann nicht auf die Airlines übertragen werden.

Siehe auch:Den Luftraum in Europa managen