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Siniora: "Ich reiche jedem die Hand"

Von WZ-Korrespondent Markus Bickel

Politik
Unter scharfer Bewachung wurde nun der Betrieb an der Arabischen Universität in Beirut wieder aufgenommen. Hier hatte zehn Tage zuvor ein blutiger Konflikt zwischen Regierungsgegnern und -befürwortern begonnen. Foto: ap

Zum Dialog gibt es im Libanon keine Alternative. | Mehrheit steht hinter der Regierung von Fouad Siniora. | "Wiener Zeitung":Bei den zweitägigen Ausschreitungen im Libanon kamen im Januar sieben Menschen ums Leben, mehr als zweihundert wurden verletzt. In vielen Fällen verliefen die Auseinandersetzungen zwischen Regierungs- und Oppositionsanhängern entlang konfessioneller Linien. Steht Ihr Land vor einem neuen Bürgerkrieg?


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Fouad Siniora: Nein. Die Gefahr einer weiteren Eskalation ist seitdem gesunken, die Chancen für eine Wiederaufnahme des Dialogs sind gewachsen. Gerade vor dem Hintergrund der libanesischen Erfahrungen gibt es zum Dialog keine Alternative. Ich behaupte nicht, dass wir schon einen Durchbruch erzielt hätten. Die Atmosphäre aber hat sich geändert, es gibt bessere Grundlagen für eine Wiederaufnahme engagierter, konstruktiver Gespräche.

Die Opposition um Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah und den Vorsitzenden der Freien Patriotischen Bewegung (FPM), General Michel Aoun, fordert ihren Rücktritt und Neuwahlen. Wären Sie bereit, sich solchen zu stellen?

Es kann doch nicht sein, dass etablierte demokratische Prozesse bei jeder Gelegenheit geändert werden, nur weil manche Leute mit dem Ausgang der letzten Wahlen unzufrieden waren. Diese Regierung hat das Vertrauen einer Mehrheit des Parlaments. Noch vor zwei Monaten war diese Regierung auch in den Augen der Hisbollah eine "Regierung des Widerstands". Jetzt diffamiert man uns plötzlich als "Regierung des US-Botschafters". Ich stelle nicht das Recht zu demonstrieren in Frage, das demokratische Recht, seine Meinung kundzutun. Aber es ist unzulässig, den Sturz einer Regierung zu fordern, die die Mehrheit des Parlaments hinter sich hat. Die Opposition weiß genau, dass die Mehrheit der Libanesen nicht hinter ihnen steht.

Warum wehren Sie sich gegen die Forderung der Opposition nach einer Sperrminorität in Ihrem Kabinett?

Weil es ihr letztlich nur um die Blockade des internationalen Tribunals zur Aufklärung des Attentats auf Rafiq Hairi und die anderen politischen Morde geht. Bis zum Rücktritt der schiitischen Minister hat dieses Kabinett mehr als 2800 Entscheidungen einstimmig verabschiedet. Nur als das Tribunal zur Abstimmung stand, im November 2005 und zuletzt im Dezember, konnte kein Konsens erzielt werden. Das ist das Problem. Wenn wir der Forderung nach einem Drittel der Minister plus einem zustimmen würden, könnte die Opposition die Regierung paralysieren und durch ihren Rücktritt ganz zu Fall bringen.

Seit mehr als zwei Monaten steht das Protestcamp der Opposition nun schon vor Ihrem Regierungssitz. Es ist kein Geheimnis, dass in den Zelten auch Waffen gelagert sind. Haben Sie Angst vor einem Sturm auf den Serail?

Ich bin ein Libanese wie alle anderen Libanesen auch. Ich glaube an Gott, ich glaube an mein Schicksal. Deshalb habe ich auch keine Angst. Ich bin hingegen fest davon überzeugt, dass wir zurückkehren müssen an den Verhandlungstisch und nicht damit fortfahren dürfen, unsere demokratischen Institutionen lahm zu legen. Alle gemeinsam müssen wir uns für nationale Versöhnung einsetzen. Dazu bin ich bereit, jedem meine Hand zu reichen.

Auch Hassan Nasrallah?

Selbstverständlich.

Haben Sie mit ihm gesprochen seit Ende des Krieges mit Israel im Sommer 2006?

Nein, weil es zur Zeit unmöglich ist, mit ihm zu telefonieren, aus Gründen, die Sie kennen.

Bei einem Treffen müssten Sie mit ihm auch über die Entwaffnung der Hisbollah sprechen.

Wir haben schon vor langer Zeit klar gestellt, dass diese Angelegenheit nur über den Weg eines inner-libanesischen Dialogs geklärt werden kann. Ausgangspunkt ist die Überzeugung, dass es keine andere außer der staatlichen Autorität geben darf.

Die Hisbollah stellt das in Frage.

Nur solange noch libanesisches Territorium von Israel besetzt ist. Das hat sie uns während des Nationalen Dialogs im vergangenen Frühjahr versichert. Auch ich werde von der Hisbollah nicht verlangen, ihre Waffen aufzugeben, bevor nicht die letzten Flächen Land befreit sind, die heute noch unter israelischer Okkupation stehen. Deshalb setze ich mich auch mit aller Kraft für einen Rückzug der Israelis von den Schebaa-Farmen ein.

Nasrallah hat in seinen jüngsten Reden vor einer Ausweitung des Mandats der Libanon-Schutztruppe der Vereinten Nationen Unifil gewarnt. Halten Sie ein erweitertes Mandat, etwa durch Verweis auf Kapitel 7 der UN-Charta, für sinnvoll?

Nein. In Vorbereitung von UN-Sicherheitsratsresolution 1701 wurde das erwogen, unser Standpunkt ist seitdem klar: Wir halten die aufgestockte Unifil-Truppe für die richtige Lösung.

Innenminister Ahmad Fatfat hat in den vergangenen Monaten immer wieder vor der Präsenz von Al-Kaida-Zellen gewarnt. Stellen diese eine Gefahr für die Sicherheit der Unifil-Truppen dar?

Es kursieren eine Menge Gerüchte, von denen ich nicht weiß, ob sie wirklich stimmen oder nur Angst verbreiten sollen. Meine Position in dieser Frage ist eindeutig: Ich bin stolz, ein Muslim zu sein, aber was wir im Libanon wollen, ist den wahren, den aufgeklärten Islam. Unschuldige Menschen zu töten, widerspricht all seinen Grundsätzen.

Knapp zwei Jahre nach dem Mord am früheren Regierungschef Rafiq Hariri stecken die syrisch-libanesischen Beziehungen immer noch in einer tiefen Krise. Wären Sie bereit, nach Damaskus zu fahren, um dort mit Präsident Bashar al-Assad einen Ausweg zu finden?

Natürlich. Eine Agenda für Gespräche stand schon fest, doch dann hat sich die syrische Führung gegen ein Treffen entschieden. Ich habe nie gesagt, dass ich nicht fahren würde, im Gegenteil: Ich bin damit groß geworden, Syrien und die Syrer zu mögen. Ich glaube an starke Beziehungen zwischen Syrien und dem Libanon - zum Wohle beider Länder. Aber ich glaube auch, dass der Libanon als souveräner und unabhängiger Staat viel mehr zu seiner eigenen und zur Entwicklung Syriens beitragen kann denn als Satellitenstaat. Unsere Beziehungen müssen auf gegenseitigem Respekt füreinander basieren.