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Sinn Féin feiert "Revolution" in Irland

Von Siobhán Geets

Politik

Der Wahlsieg der republikanischen Sinn Féin bringt nicht nur einen Linksruck in Irland, er bedeutet auch ein Ende des Zwei-Parteien-Systems auf der Insel. Doch die Regierungsbildung dürfte schwierig werden.


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Mary Lou McDonald jubelt. Nichts Geringeres als "eine Revolution" habe hier stattgefunden, ruft die Chefin der republikanischen Sinn Féin ihren Unterstützern am Sonntag zu. Nachwahlbefragungen hatten ergeben, dass McDonald die Parlamentswahlen in Irland wohl gewonnen hat. Am Montag führte Sinn Féin nach Auszählung aller Erststimmen mit 24,5 Prozent. Die regierende Fine Gael von Premier Leo Varadkar kommt auf 20,9, die ebenfalls liberal-konservative Fianna Fáil auf 22,2 Prozent der Stimmen. "Wir haben kein Zwei-Parteien-System mehr in Irland", ruft McDonald. Sie wolle nun eine Regierung bilden.

Das dürfte allerdings nicht so einfach werden. Noch ist nicht einmal klar, ob Sinn Féin überhaupt Teil der nächsten Regierung sein wird. Eines lässt sich aber bereits sagen: Die politische Landschaft Irlands hat sich mit diesen Wahlen verändert, es gibt zum ersten Mal eine dritte Kraft in der Politik der Insel.

Konservative Sparpolitik abgestraft

Unter McDonald ist Sinn Féin zur wichtigsten linken Kraft im Land geworden. Während des Nordirlandkonflikts war die Partei der politische Arm der IRA, seit 2007 teilt sie sich in Nordirland die Macht mit den pro-britischen Unionisten. Südlich der Grenze stand Sinn Féin aber immer am Rande - ein Paria, mit dem die anderen nichts zu tun haben wollten. Die Partei habe "Blut an den Händen", war auch vor den Wahlen am Samstag wieder zu hören. Doch die Warnungen verhallten: Zu groß war der Zorn der Menschen auf die etablierten Parteien, zu wenig wurde getan, um die zahlreichen Missstände zu beseitigen - vom eklatanten Wohnungsmangel über steigende Kinderarmut bis hin zum maroden Gesundheitssystem. Auch haben die Republikaner ihr altes Hauptziel, eine Wiedervereinigung Irlands, im Wahlkampf nicht übermäßig strapaziert.

Das liegt auch am Generationenwechsel an der Parteispitze. Seit zwei Jahren führt McDonald die Sinn Féin an. Die 50-jährige Dublinerin löste Langzeitchef Gerry Adams und seine Riege aus ehemaligen IRA-Männern ab. "Tiocfaidh ár lá", bemühte sie bei ihrer Antrittsrede einen alten IRA-Slogan, "Unser Tag wird kommen". Nun scheint er da zu sein.

Es ist tatsächlich das Ende einer Ära. Fine Gael ("Familie der Iren") und Fianna Fáil ("Soldaten des Schicksals") regierten Irland abwechselnd seit seiner Unabhängigkeit vor hundert Jahren. Das ist nicht ungewöhnlich, Zwei-Parteien-Landschaften gibt es schließlich auch in anderen Ländern. In Irland aber sind die beiden Traditionsparteien so etwas wie liberal-konservative Zwillinge, inhaltliche Unterschiede sucht man mit der Lupe. Ihren Ursprung haben die beiden im irischen Unabhängigkeitskampf. Die Trennung erfolgte im Bürgerkrieg von 1922/23, in dem sie auf unterschiedlichen Seiten kämpften. Doch all das spielt keine Rolle mehr. Heute gilt die Fine Gael als Partei der Landlords, Fianna Fáil als jene der (großen) Unternehmen. Erstere mag gesellschaftsliberaler sein, zweitere wirtschaftspolitisch etwas weiter links stehen, konservative Mitte-rechts Parteien sind sie beide.

Als solche verordneten sie den Iren nach der Wirtschaftskrise vor zehn Jahren harte Sparmaßnahmen. Die Auflagen der Troika erfüllte Dublin ohne Murren, Irland wurde als Musterschüler unter den Krisenstaaten gepriesen: Keine Wirtschaft in der EU wächst so schnell wie die irische, die Arbeitslosenrate ist gering und das Bruttoinlandsprodukt hoch. Während die Austeritätspolitik viele in die Armut stürzte, blieb Irland äußerst "unternehmerfreundlich": Große Firmen, darunter Google und Apple, zahlen so gut wie keine Steuern. Angesichts dieser Ungerechtigkeiten ist der Zorn auf die etablierten Parteien stetig gewachsen.

Das Gesundheitswesen ist marod, die Wartezeiten selbst für lebenswichtige Eingriffe sind lang und es gibt eine Rekordzahl an Obdachlosen. Unter den horrenden Mietpreisen (sie übersteigen selbst jene Londons) leidet auch die Mittelschicht. Das betrifft vor allem junge Menschen. Viele können es sich nicht leisten, aus dem Elternhaus auszuziehen. Laut Nachwahlbefragungen gaben fast 32 Prozent der 18- bis 34-Jährigen der Sinn Féin ihre Stimme.

Sinn Féin hat nichtgenug Kandidaten

Wie die Sitzverteilung im Dáil, dem irischen Unterhaus, nun genau aussehen wird und wer die nächste Regierung bildet, das lässt sich noch nicht sagen. In Irland reihen Wähler die Kandidaten nach Präferenz, Stimmzettel müssen mitunter ein Dutzend Mal gezählt werden, das nimmt viel Zeit in Anspruch. Das irische Wahlsystem ist komplex, das wird auch die Mehrheitsfindung im Dáil werden.

Die Sinn Féin stellt den Regierungsanspruch, doch das könnte schwierig werden: Sowohl Fine Gael als auch Fianna Fáil haben eine Zusammenarbeit mit den Republikanern ausgeschlossen - wobei Letztere am Wochenende doch Gesprächsbereitschaft signalisierte. Parteichef Micheál Martin wird wohl auch mit Mary Lou McDonald reden. In seiner Fianna Fáil würden viele ohnehin lieber mit Sinn Féin regieren als noch einmal mit Varadkars Fine Gael, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

McDonald würde am liebsten ohne die beiden Traditionsparteien regieren. Die Sinn-Féin-Chefin führt Gespräche mit den Grünen, mit Labour und mit anderen kleinen Parteien, doch das wird sich für eine Mehrheit im 160 Sitze umfassenden Dáil nicht ausgehen. "Am wahrscheinlichsten ist eine Koalition Sinn Féins mit Fianna Fáil", sagt der Politologe Ben Tonra vom University College Dublin. "Allerdings bräuchten sie die Unterstützung Labours oder der Grünen für eine Mehrheit im Dáil."

Nicht ausgeschlossen ist aber auch, dass die Republikaner ganz von der Regierungsbank fernbleiben. Die Partei, überrumpelt vom eigenen Erfolg, hat nicht einmal genug Kandidaten aufgestellt, um all ihre Sitze im Dáil einzunehmen. Die Fianna Fáil wird wohl die meisten bekommen, Sinn Féin und Fine Gael werden ungefähr gleichauf liegen. Die Mehrheitsfindung dürfte schwierig werden, auch ein Patt ist nicht ausgeschlossen. In diesem Fall könnte es bald Neuwahlen geben.