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Sinnbild der russischen Brutalität

Politik

Die humanitäre Katastrophe in Mariupol zeigt, wie Russland die ukrainische Zivilbevölkerung zermürben will.


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Die Geburtsklinik von Mariupol war ein Hoffnungsschimmer, dass es mit der Ukraine bergauf gehen könnte. Sie war im Sommer teilweise renoviert worden, auch einige moderne Apparate waren angeschafft worden. Doch am 9. März legte ein russischer Luftangriff die Klinik in Schutt und Asche. Ausgerechnet eine Geburtsklinik ist damit zum Sinnbild geworden, wie dieser Krieg Tod und Zerstörung bringt.

Nirgendwo zeigt sich so deutlich, mit welcher Rücksichtslosigkeit und Brutalität gegen die Zivilbevölkerung Russland bei seinem Angriffskrieg vorgeht, wie in Mariupol. Auch das Stadttheater, in dem hunderte Zivilisten Zuflucht gesucht hatten, wurde zerbombt. Vorher hatten die Bürger noch mit großen Buchstaben "Kinder" auf dem Platz vor dem Theater geschrieben, damit dieses eben nicht angegriffen wird. Am Sonntag zerstörten russische Bomber laut Behörden dann eine Kunstschule. In dieser sollen rund 400 Menschen Schutz gesucht haben. Jetzt sind in der Schule wie auch noch im Theater hunderte Menschen unter den Trümmern verschüttet.

Russland belagert die Stadt seit rund drei Wochen und nimmt sie fortlaufend unter Beschuss. Laut ukrainischen Angaben sind bereits 80 bis 90 Prozent der Gebäude zerstört. Inwieweit diese Zahl stimmt, kann nicht überprüft werden, Satellitenaufnahmen zeigen aber großflächige Zerstörungen.

Sichtlich mitgenommen von dem, was er sah, war auch der griechische Konsul Manolis Androulakis, der als einer der letzten Diplomaten Mariupol verließ. "Mariupol wird in eine Liste von Städten in der Welt aufgenommen werden, die durch den Krieg völlig zerstört wurden, wie Guernica, Stalingrad, Grosny, Aleppo", sagte er nach seiner Rückkehr nach Athen. "Es gab kein Leben mehr - binnen 24 Stunden wurde die gesamte Infrastruktur zerstört. Es wurde einfach alles bombardiert." Der Diplomat schilderte, wie er nach russischen Angriffen auf den Straßen verstreute menschliche Gliedmaßen gesehen hatte. Die Zivilisten würden "blind" getroffen und seien "hilflos".

Moskau verteidigt die Bombardierungen damit, dass sich in den Gebäuden ukrainische Kämpfer vom nationalistischen Asow-Regiment aufgehalten hätten. Oder es behauptet, die Ukrainer selbst hätten die Gebäude zerstört.

Aber nicht nur die Bombardements machen das Leben für die Zivilbevölkerung zur Hölle. Russland hat Sendemasten und den Fernsehturm zerstört. Damit sind die Bewohner von der Kommunikation abgeschnitten, was laut zwei Reportern der Nachrichtenagentur AP, die vor Ort waren, für noch mehr Unsicherheit und Chaos sorgte. Außerdem ist die Stadt teilweise von der Elektrizität und der Wasserversorgung abgeschnitten. Es gibt Berichte, wonach die Menschen bereits das Wasser aus den Heizungsrohren trinken. Auch die Lebensmittel werden immer knapper. Hilfsorganisationen berichten, dass ihre Konvois nicht durch die russische Blockade kommen.

Stadt hat enorme strategische Bedeutung

Auch wenn zehntausende Zivilisten Mariupol schon verlassen konnten, bleibt für die meisten die Stadt ein Falle, noch immer sind rund 300.000 Menschen eingeschlossen. Denn die Fluchtkorridore funktionieren immer nur für kurze Zeit. Russland und die Ukraine werfen einander ständig vor, sich nicht an die Abmachungen zu halten.

In der Nacht auf Montag hat die russische Seite die Ukraine aufgefordert, sich bis fünf Uhr in der Früh zu ergeben. Die Ukraine hat das abgelehnt. Verteidigungsminister Olexij Resnikow bezeichnete die Verteidiger von Mariupol als Helden. Sie würden einen weiteren Vormarsch der russischen Truppen verhindern. Russland steht vor dem Dilemma, dass ein Einmarsch in Mariupol und der damit verbundene Häuserkampf in den eigenen Reihen für massive Verluste sorgen würde.

Mariupol ist strategisch von enormer Bedeutung. Falls die russische Armee die Stadt einnimmt, könnte Russland einen Korridor zwischen dem eigenen Staatsgebiet, der selbsternannten Volksrepublik von Donezk und der Krim legen und die vollständige Kontrolle über das Asowsche Meer erlangen.

Das russische Vorgehen erinnert dabei an das im syrischen Aleppo oder tschetschenischen Grosny. Auch dort ließ Russlands Präsident Wladimir Putin Flächenbombardements durchführen und nahm den Tod zehntausender Zivilisten in Kauf. Die Ziele sind dabei laut Militärexperten offensichtlich: Er will die Zivilivbevölkerung in Angst und Schrecken versetzen und so seine Gegner einschüchtern.

"Massives Kriegsverbrechen"

Die russische Armee greift auch andere ukrainische Städte an, doch keine hat es bisher so schlimm getroffen wie Mariupol. Die Szenen dort könnten ein Vorbote sein, dass woanders das Schlimmste noch bevorsteht. Zumal es bei verfahrenen Situationen eine Taktik von Putin ist, noch weiter zu eskalieren.

Die von Russland herbeigeführte humanitäre Katastrophe in Mariupol ist in der EU eines der gewichtigsten Argumente für weitere Sanktionen gegen Moskau. "Was in Mariupol passiert, ist ein massives Kriegsverbrechen", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag. (klh)