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Sinnfrage streng verboten

Von Michael Schmölzer

Politik

Fassungslosigkeit und Wut: Westliche Soldaten leiden an der totalen Niederlage in Afghanistan.


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Die Taliban marschieren triumphal in Kabul ein; die Islamisten haben nicht nur die afghanische Armee, sondern auch die US-geführten internationalen Streitkräfte besiegt. Am Flughafen drängen sich unzählige verzweifelte Afghanen, die noch in letzter Sekunde aus dem Land wollen, sie klammern sich an Transportflieger und stürzen in den Tod.

Dramatische Bilder, die bei den TV-Konsumenten in Europa für Irritation gesorgt haben. Für viele Veteraninnen und Veteranen aber, die etwa in der Bundeswehr oder der US-Armee in Afghanistan unter Todesgefahr gedient haben, sind die Berichte vom Ende der Mission mehr als verstörend. Hier herrschen Fassungslosigkeit, Ohnmacht und grenzenlose Wut. Deutsche Medien berichten, dass die heerespsychologischen Stellen mit einem wahren Ansturm zu kämpfen haben.

Oft ist es so, dass bereits zuvor - etwa bei Kampfeinsätzen - psychisch schwer versehrte Soldaten durch die aktuellen Bilder und Berichte aus Kabul retraumatisiert werden. Vielen Soldatinnen und Soldaten, so David Hallbauer, Vorsitzender des Bundes Deutscher Einsatzveteranen zu deutschen Medien, würde sich nun die Sinnfrage stellen: "Sie haben den Eindruck, dass ihr monatelanger, harter Einsatz - oft unter Todesangst - letztlich vergebens war, und Erfolge aus 20 Jahren Afghanistan-Einsatz von den Taliban mit einem Schlag zunichtegemacht werden."

Immerhin hat die Bundeswehr 59 Gefallene am Hindukusch zu beklagen. Insgesamt waren dort 160.000 deutsche Frauen und Männer stationiert. Im schlechtesten Fall drohen den Ex-Soldaten Depressionen und langfristige Arbeitsunfähigkeit. Oft sind es in Deutschland ratlose Angehörige, die Beratungsgespräche suchen. Denn es ist immer noch so, dass sich Soldaten mit psychischen Problemen erst dann Hilfe holen, wenn es zu spät ist. Antriebslosigkeit und Panikattacken gelten hier immer noch als unzulässige Schwäche, werden nur ungern eingestanden und lieber mit Alkohol und Medikamenten bekämpft.

Doch wie steht es um die Soldaten des österreichischen Bundesheeres, die 20 Jahre lang in wechselnder Anzahl - zumeist war es ein kleiner Trupp von etwa zehn Mann oder weniger - am Hindukusch eingesetzt waren?

"Wenn ich weiß, wofür"

Prinzipiell werden alle Soldaten, die von einem Auslandseinsatz heimkehren, psychologisch genau auf Auffälligkeiten durchleuchtet, sagt Oberst Christian Langer, Leiter des Heerespsychologischen Dienstes gegenüber der "Wiener Zeitung". Wobei die Bundesheer- soldaten nicht in erster Linie im Kampfeinsatz, sondern "im Headquarter eingesetzt" gewesen seien, wie Langer hinzufügt. Die Einheiten der deutschen Bundeswehr etwa sind sehr wohl dem feindlichen Feuer ausgesetzt gewesen.

Wobei vor einigen Jahren auch österreichische Soldaten mitten in die Schusslinie gerieten, als der Flughafen Kabul völlig überraschend mit Raketen angegriffen wurde. "Wir hatten damals Spezialeinsatzkräfte vor Ort, die waren bestens vorbereitet, es war die militärische Elite", berichtet Langer. Fälle von Traumatisierung seien ihm nicht bekannt. Reine Büroarbeit sei es für die Bundesheer-Soldaten aber keinesfalls gewesen: "Anschläge und Bomben" - man habe ständig mit der Gefahr gelebt. "Es gibt Alarmierungen und Vorkehrungen", falls es zu Raketenangriffen kommt.

Dass nun afghanische Helfer zurückgelassen wurden, sei definitiv "psychisch belastend", sagt Österreichs oberster Heerespsychologe. "Wenn man Monate oder Jahre vor Ort ist, entstehen soziale Beziehungen." Oft seien es Soldaten "mit sehr viel Überzeugung, Engagement und Leidenschaft", die nach Afghanistan gegangen wären. "Wenn ich mich für etwas einsetze, teilweise auch mein Leben in Gefahr ist", wie das bei den Deutschen der Fall gewesen sei, "und dann wird der Sinn und Zweck wirklich geprügelt, wenn die Felle davonschwimmen", dann könne das in Folge ein altes Trauma reaktivieren, konstatiert Langer.

Wobei die Frage der Sinnhaftigkeit bei Soldaten generell eine große Bedeutung habe: "Ich bin da, und ich weiß wofür." Das sei an den Beispielen Vietnam-Krieg, Korea und den beiden Weltkriegen gut erforscht: Wenn dann die Brücken von einem Tag auf den anderen abgebrochen würden und "die jahre- und jahrzehntelange Arbeit" an Bedeutung verliere, dann sei das ein massiver Belastungsfaktor, meint Langer.

Im Fall der Österreicher, die über Jahre die afghanische Armee trainiert haben, heißt das: "Man rüstet aus, bildet aus und begeht dann eine Art Kindesweglegung." Der Soldat sei "Wochen und Monate dort, er identifiziert sich mit der Arbeit, er lernt die Leute kennen, baut einen Bezug auf und sieht kleine Erfolge". An diese müsse er denken und nicht an das Gesamthafte, so Langer. Andernfalls werde es schwierig.