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Sinnsuche in Wolfsburg

Von Ronald Schönhuber

Wirtschaft

Volkswagen braucht dringend eine neue Strategie, um zukunftsfit zu werden.


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Wolfsburg. Um die Zukunft präsentieren zu können, haben die jungen Ingenieure in den britischen Midlands einen Tisch mit einer schneeweißen Plastikplatte hergeräumt, auf der nun surrend kleine Roboterautos hin- und herfahren. Die Fahrtrichtung wird dabei zufällig gewählt, Kollisionen gibt es aber trotz des dichten Verkehrs keine. Ein aufwendiger Algorithmus sorgt in Kombination mit Sensoren dafür, dass die kleine Vehikel rechtzeitig abbiegen, bevor es zum Crash kommt.

Doch die Plastikplatte ist für die Forscher im Mira Technologiepark klarerweise nur ein Zwischenschritt. Schon bald will man hinaus, um die hier entwickelten Technologien im Bereich des autonomen Fahrens auch auf der Straße zu testen. So wie das Google schon seit einiger Zeit mit seinen selbstfahrenden Autos macht und wie es möglicherweise auch Apple bald in Angriff nehmen wird. "Der Fokus auf diese Technologie ist schon jetzt sehr stark, und es gibt hier noch eine Menge Möglichkeiten", sagt Geoff Davis, der technische Direktor des Mira Parks. "Alle Deutschen sind daran interessiert."

Einer dieser Deutschen ist Martin Winterkorn. Denn drei Monate nach dem turbulenten Machtkampf, der mit dem Rücktritt seines ehemaligen Ziehvaters Ferdinand Piech als Aufsichtsratsvorsitzender endete, hat sich der Pulverdampf zwar verzogen, doch die eigentliche Bewährungsprobe steht für den Volkswagen-Chef noch aus. Das Unternehmen, das im ersten Halbjahr 2015 endlich die lang ersehnte Krone des weltgrößten Autobauers erobert hat, braucht dringend eine neue Strategie, um nachhaltig zukunftsfit zu werden.

Konkrete Details dazu will der Zwölf-Marken-Konzern erst im Oktober bekanntgeben, doch dass der Kurswechsel für das größte Unternehmen Deutschlands durchaus radikal ausfallen könnte, hatte Winterkorn zuletzt deutlich angesprochen. In den kommenden Wochen und Monate werde es vor allem um Veränderung gehen, sagte der 68-Jährige Ende Juli bei einer Konferenz mit knapp 350 PR-Managern aus allen Konzernbereichen. Für ihn gebe es keine Zweifel, dass die Automobilwelt am Vorabend eines historischen Umbruchs stehe.

Gemeint sind damit vor allem die neuen Technologien im Bereich Vernetzung und autonomes Fahren, mit denen auch im britischen Mira Park experimentiert wird und die völlige neue Akteure aufs Spielfeld bringen. Galten früher Toyota und General Motors als natürliche Konkurrenz, so sieht Winterkorn die Deutungshoheit von Volkswagen in Sachen Mobilität heute durch Silicon-Valley-Größen wie Apple und Google gefährdet. "Die Digitalisierung und die Elektromobilität stellen unser etabliertes Geschäftsmodell in Frage", warnt der Vorstandsvorsitzende. Künftig müsse Volkswagen Mobilitätsermöglicher statt reiner Autobauer sein.

Eine Frage der Steuerung

Wie man der digitalen Herausforderung begegnet - sei es nun durch eigene Anstrengung oder durch die Kooperation mit den über das Know-how verfügenden Tech-Konzernen -, ist wohl eine der drängendsten Fragen des bevorstehenden Generalumbaus. Doch es ist bei weitem nicht die einzige Großbaustelle, mit der sich die Volkswagen-Führungsriege konfrontiert sieht. In China, wo der Konzern im Vorjahr mehr als ein Drittel seiner produzierten Fahrzeuge verkauft hat, hat sich der Markt spürbar abgekühlt. Zudem drückt eine massive Rabattschlacht die Margen der Hersteller. Und in den USA läuft es vor allem für die Kernmarke VW schon seit Jahren nicht rund, der in den vergangenen drei Monaten verzeichnete Anstieg flachte zuletzt schon wieder ab. "Das Herz des Konzerns hat Probleme", urteilt der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer.

Beantwortet werden muss im Herbst aber auch die Frage, wie sich der weltumspannende Riesenkonzern mit seinen 600.000 Mitarbeitern effizienter steuern lässt. Bisher laufen selbst kleinste Entscheidungen über die Zentrale in Wolfsburg, was nicht selten zu einer Flaschenhalssituation samt entsprechender Staubildung führt.

Um künftig mehr Marktnähe und Entscheidungsfreiheit zu erreichen, ist laut Insidern etwa angedacht, die zwölf Marken im Rahmen des Konzernumbaus in vier deutlich autonomer agierende Modellfamilien zusammenzufassen. Als relativ wahrscheinlich gilt dabei eine Gruppe mit den Massenmarken VW-Pkw, Skoda und Seat. Die drei kommen zusammen auf fast 60 Prozent des Konzernabsatzes. Vor allem aber nutzen sie schon die Architektur der modularen Querbaukastens, der viele gleiche Bauteile markenübergreifend ermöglicht. Mit der Neugliederung nach Familien dürften aber auch die einzelnen Regionen mehr Eigenverantwortung bekommen. Ob das den nötigen Befreiungsschlag bringt, wird von Experten wie Dudenhöffer jedoch bezweifelt. "Nur mit einem neuen Organigramm lassen sich ja viele der grundlegende Probleme nicht lösen", sagt der Leiter des Center Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen zur "Wiener Zeitung."

Geplanter Aufstieg

Fraglich ist zudem, ob Winterkorn die Neuausrichtung noch als Vorstandsvorsitzender selbst über die Bühne bringen wird. Denn der 68-Jährige, der vor kurzem die Führung der Kernmarke VW an den Ex-BMW-Vorstand Herbert Diess abgetreten hat, regelt derzeit auch sein Erbe. Und wenn alles glatt läuft, könnte Winterkorn ab 2016 schon die mittelbare Nachfolge seines ehemaligen Mentors Ferdinand Piech antreten und zum Aufsichtsratschef aufsteigen.