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"Sinnvoll wäre eine europaweite CO<sub>2</sub>-Steuer"

Von Walter Hämmerle

Wirtschaft

Den Wahlkampf nimmt er nicht wirklich ernst, erhebliche Sorgen macht er sich schon, sagt IV-Präsident Georg Kapsch.


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Wien. Wahlkampf ist, und keiner redet über die tatsächlich wichtigen Probleme. Und falls doch, dann nicht mit der notwendigen Tiefe. Das findet jedenfalls Georg Kapsch (60), Präsident der Industriellenvereinigung (IV). Der Unternehmer - CEO der Kapsch AG, eines Telekommunikations- und Verkehrstelematikkonzerns mit 7300 Mitarbeitern und einem Umsatz von 1,15 Milliarden Euro - sowie Interessenvertreter vermisst den Mut zu grundsätzlich Neuem. Die "Wiener Zeitung" traf Kapsch zum Interview.

"Wiener Zeitung": Die neue EU-Kommission ist, sofern sie vom Parlament bestätigt wird, startklar. Sie fordern von Brüssel vor allem eine kohärente gemeinsame Industriepolitik. Das letzte große industriepolitische Projekt Europas, Airbus, wurde vor 50 Jahren gestartet. Was macht Sie also optimistisch?Georg Kapsch: Industriepolitik ist eine klassische Querschnittmaterie. Deshalb muss am Anfang eine Einigung darüber stehen, was mit einer europäischen Industriepolitik überhaupt erreicht werden soll. In der Finanzkrise 2008 hat sich die EU auf das Ziel einer Industriequote von 20 Prozent quer über alle Mitgliedstaaten verständigt. Daran sind wir großartig gescheitert. Was wir heute brauchen, sind konkrete Maßnahmen, damit wir dieses Ziel trotzdem erreichen können. Entscheidend dafür sind aus meiner Sicht bessere und effizientere Regulierungen und weniger Überregulierung. Letzteres haben wir leider zuhauf.

Wo haben wir zu viel Regulierung?

Im Arbeitsrecht mit Sicherheit. Anstatt dass wir die vier Grundfreiheiten und damit den Binnenmarkt vollenden, schränken wir diesen ein.

Wo geht hier Österreich mit schlechtem Beispiel voran?

Wir haben etwa ein Sozialdumpinggesetz, das völlig am Ziel vorbeigeht. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin ein entschiedener Gegner von Sozialdumping, aber unsere Methoden sind völlig falsch. Oder: Jeder Mitarbeiter, der ins EU-Ausland reist, muss ein Formular mit sich tragen, das belegt, dass er in Österreich sozialversichert ist. Das bringt nichts und ist ein großer Aufwand.

Wie soll Europa eine Industriepolitik entwickeln: Durch staatliche Intervention oder durch den Markt?

Ich bin kein klassischer Marktliberaler, sondern ein Sozialliberaler. Der Markt kann vieles leisten, aber nicht alles. Von einem etatistischen System wie in Frankreich halte ich aber nichts, der Markt muss sich durchsetzen können, außer dort, wo es um die Interessen der Schwächsten und der Gesellschaft geht. Es geht also um das Wie: Der Staat soll mit Förderungen eingreifen und den Rest dem Markt überlassen. Auch China und die USA greifen unterstützend in Märkte ein, deshalb müssen wir uns dringend das Wettbewerbs- und Beihilferecht in der EU anschauen. Wir sind beim Konsumentenschutz und der Wettbewerbssituation zu binnenorientiert und achten nicht auf das, was die globale Konkurrenz macht. Das ist extrem gefährlich, weil wir so unsere europäische Wirtschaft schwächen. Die Untersagung der Zugsparten-Fusion von Siemens und Alstom durch Brüssel war ein schwerer industriepolitischer Fehler.

Brauchen wir besseren Schutz vor feindlichen Übernahmen strategisch wichtiger Unternehmen in Europa durch Investoren aus China, Russland oder anderen Staaten?

Hier wohnen wirklich zwei Seelen in meiner Brust: Es ist nicht egal, wer der Eigentümer eines Unternehmens ist; von daher dürfen wir einen Ausverkauf der europäischen Industrie nicht zulassen. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass es sich hierbei um einen massiven Eingriff in das private Eigentumsrecht handelt, wenn ich als Unternehmer nicht mehr verkaufen kann, an wen ich will. Das ist ein ganz schmaler Grat, bei dem man sich genau überlegen muss, wie das organisiert sein soll.

Sollten sich Unternehmen fürchten angesichts von Forderungen, die von der Vermögens- und Erbschaftssteuer über neue Aufgaben für die Lohnnebenkosten bis zu Steuerplänen für den Klimaschutz reichen?

Seit ich Wahlkämpfe beobachte, ist es noch nie so gekommen, wie es die Parteien vorher angekündigt hatten. Bei manchen Forderungen bin ich mir fast sicher, dass nicht einmal diejenigen, die sie erheben, von deren Sinnhaftigkeit überzeugt sind.

Zum Beispiel?

Eine Erbschaftssteuer von 35 Prozent, wie sie für Vermögen ab 10 Millionen Euro nun die SPÖ fordert. (Bis eine Million steuerfrei, zwischen 1 und 10 Millionen 25 Prozent Steuer; bei Fortführung eines Betriebes, fällt die Steuer auf 15 Prozent des Betriebsvermögens; Anm.) Das ist ein guter Slogan, aber wenn man nicht dazu sagt, was man eigentlich genau besteuern will, ist das völlig planlos: Gelten diese Steuersätze für Übertragungen von Bargeld, Immobilien und Unternehmen ohne Unterscheidung? Man kann nicht einfach alles in einen Topf werfen und muss die Konsequenzen einer solchen Forderung bedenken.

Sie rechnen aber damit, dass das ohnehin nicht kommen wird?

Ja, trotzdem beunruhigen mich solche Forderungen, weil sie Unternehmen wie Investoren tief verunsichern.

Die Verteilungsfrage wird nicht nur in Österreich mit neuer Vehemenz gestellt.

Für mich ist das reiner Populismus. Richtig ist, dass die Kluft zwischen Arm und Reich nicht zu groß werden darf. Derzeit haben wir Parteien, die Migranten gegen die angestammte Bevölkerung ausspielen, und solche, die Vermögende gegen weniger Vermögende ausspielen.

Ist das für Sie gleichwertig?

Es ist auf jeden Fall beide Male die gleiche Strategie. Möglich, dass diese Strategien aufgehen, aber beide sind in diesem Fall absolut tödlich für eine Gesellschaft. Ich warne aufrichtig davor, mit diesen Emotionen zu spielen. Man kann ja über alles nachdenken, etwa über eine neue Struktur des Steuersystems und woher die Einnahmen des Staates kommen sollen. Aber es braucht ein Konzept, man kann nicht immer nur Neues auf das Bestehende aufpacken. Unsere gesamte Welt ist so dynamisch geworden, dass wir bestehende Konzepte durch völlig neue ersetzen müssen.

Was hindert Sie daran? Die IV verfügt über erheblichen Einfluss, es gibt die Sozialpartner.

Ich habe einen guten Kontakt zur Arbeiterkammer, mit der Gewerkschaft ist es schwieriger. Wir brauchen Offenheit: Lösen wir uns vom Hier und Jetzt und denken wir darüber nach, wie ein Sozial- und Steuersystem aussehen müsste, um Antworten auf die heutigen Probleme zu geben.

Können Sie konkreter werden?

Nehmen wir den Arbeitnehmerschutz, der ist völlig antiquiert. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollten gemeinsam nachdenken, was für beide Seiten notwendig ist. Ich will nicht länger immer nur auf dem Bestehenden draufsetzen. Das gilt für unser Sozialversicherungs-, Pflege-, Pensions- und Gesundheitssystem. Wenn wir stets nur auf die sogenannten politischen Realitäten Rücksicht nehmen, fahren wir das Land gegen die Wand. In der Haut dieser politischen Verantwortlichen möchte ich dann nicht stecken. Tue ich auch nicht, weil ich kein Politiker bin.

Das dominierende Thema im Wahlkampf sind Maßnahmen gegen den Klimawandel. Diese werden auch die Industrie treffen.

Wir haben hier schon wesentlich mehr geleistet als etwa die Bereiche Verkehr und Haushalte, und wir wissen, dass wir weiter handeln müssen. Aber die Industrie kann nur einen Teil der Lasten schultern. Europa ist nur ein Teil der Welt und mit 10 Prozent der gesamten Treibhausgas-Emissionen weltweit nur ein Teil des Problems. Bei einem Produktionsanteil von 20 Prozent zeigt das, dass wir relativ schon ganz gut sind, nicht absolut, aber relativ.

Was schlagen Sie also vor?

Was immer wir in Europa tun, hat für sich genommen nur einen marginalen Einfluss auf das Weltklima. Deshalb brauchen wir Mechanismen, die alle dazu zwingen, auf unseren Weg einzuschwenken. Stattdessen haben wir in der EU den CO2-Zertifikatshandel, den ich für völlig falsch erachte, weil er relativ saubere Produktionsweisen belastet und schmutzig produzierte Importe vergleichsweise entlastet. Sinnvoll wäre eine europaweite CO2-Steuer auf alle Produkte, mit der auch die Importe erfasst werden.

Sie bezeichnen sich als Sozialliberalen. Was soll das sein?

Einer, der überzeugt ist, dass die Freiheit des Einzelnen das höchste Gut ist, solange sie nicht die Freiheit des Nächsten beeinträchtigt. So weit ist das klassisch liberal. Ich glaube zudem, dass der Markt nicht alles regeln kann; dass wir einen Ausgleich zwischen Arm und Reich schaffen müssen, dass es eine Verpflichtung der Vermögenden gibt. Und ich vertrete die Notwendigkeit eines nachhaltigen Sozialstaats.

Georg Kapsch ist ein österreichischer Unternehmer und seit 2012 Präsident der österreichischen Industriellenvereinigung. Nach der Matura 1977 studierte Georg Kapsch Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien, wo er 1981 graduierte.