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Sinowatz sollte eher nicht recht behalten

Von Walter Hämmerle

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Wegen des Teams Stronach das freie Mandat abzuschaffen, wäre dann doch zu viel der Ehre. Für die Stronach-Mandatare wohlgemerkt.


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Was ist wichtiger: die Partei oder der einzelne Mandatar?

Fred Sinowatz, Bundeskanzler einer rot-blauen Koalition von 1983 bis 1986, hat es mit dem Satz "ohne die Partei bin ich nichts" in die Zitatesammlung der Republik geschafft, die geschriebene Verfassung erlaubt sich dazu allerdings eine prononciert andere Auffassung. Das Prinzip des freien Mandats stellt sicher, dass der Abgeordnete im Streitfall am längeren Hebel sitzt - zumindest bis zur nächsten Wahl, wenn die Partei über ihre Kandidaten entscheidet.

Bisher erfreute sich dieses David-soll-Goliath-ärgern-können-Prinzip breiter Unterstützung, die Massenflucht aus dem Stronach- in den ÖVP-Klub scheint nun zu einem Umdenken zu führen: Von der "Vergewaltigung der Verfassung" war im "profil" zu lesen. Das ist ein großes Wort gelassen hingeschrieben, aber von der Stimmung her nicht weit daneben. Tatsächlich ist das freie Mandat eine Fiktion; eine verfassungsrechtliche Konstruktion, für den Alltag völlig untauglich, aber in der Ausnahme unerlässlich.

Natürlich könnte die Verfassung genau so gut die Partei respektive den Klub als entscheidende Kategorie festlegen. Ob damit mehr gewonnen als zerstört wäre, ist allerdings zweifelhaft.

Auch wenn wir uns in Österreich mit der Vorstellung schwer tun: Sogar Parteien haben ein Ablaufdatum. Die Geschichte der vergangenen sieben Krisen-Jahre ist zugleich eine Erzählung vom Werden und Vergehen politischer Parteien. Griechenland ist nur ein, wenngleich das spektakulärste Beispiel. Und es demonstriert anschaulich, dass bestehende Mehrheitsverhältnisse wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen können. Neuwahlen sind dann der naheliegende Ausweg aus der Misere. Doch bis diese politisch wirksam werden - sprich: eine neue handlungsfähige Regierung steht -, kann es dauern. Und es gehört zu den wichtigsten Aufgaben einer Verfassung, für solche Krisenszenarien einen strukturierten Plan zur Bewältigung der Notsituation bereitzuhalten. Erst in solchen Ausnahmefällen von der politischen Routine erweist sich die Qualität einer Verfassung.

Im Angesicht des möglichen Chaos spricht erheblich mehr für die Bevorzugung der kleinstmöglichen Einheit, des einzelnen Mandatars, als für die nächsthöhere Ebene, also den Klub.

Es lohnt sich nicht, jeden Blechschaden des politischen Betriebs schönzureden. Und mit der Geschichte von Gründung (Politüberläufer vom sterbenden BZÖ) und Zerfall des "Team Stronach" ist ganz gewiss kein demokratiepolitischer Schönheitspreis zu gewinnen. Man kann auch durchaus darüber nachdenken, die Anreize für einen fliegenden Klubwechsel für alle Beteiligten herabzusetzen. Ganz sicher keine gute Idee ist es jedoch, aus solchen - in der langfristigen Perspektive - absolut nichtigen Anlässen am Grundsatz des freien Mandats zu rütteln.

Alltagsfiktionen können in Ausnahmefällen nämlich von unschätzbarem Wert sein. Es sei denn, man hält die Interaktion von 183 Abgeordneten ohnehin für eine Zumutung. Dann wäre es aber ehrlicher, gleich nur noch eine Person pro Partei/Klub als Entscheider zu nominieren. Die Parlamentspräsidiale aus Vorsitz und Klubchefs könnte dann gleich auch als Plenum fungieren.