Amoklauf von US-Militärpsychiater fordert 13 Tote. | 39-Jähriger wollte nicht in den Irak. | Fort Hood. Eigentlich hätte es ein Festtag werden sollen. Im großen Saal des US-Truppenstützpunktes Fort Hood laufen gerade die letzten Vorbereitungen für eine Feier, mit der man jene Soldaten ehren will, die soeben ihren College-Abschluss erhalten haben.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der ganze Raum im Readiness Center ist bereits festlich dekoriert, überall laufen Menschen herum. Doch aus dem Tag der Freude wird ein Tag der Trauer. An dessen Ende sind 13 Menschen tot und 30 weitere zum Teil schwer verletzt. Der dafür verantwortliche 39-jährige muslimische Militärpsychiater Nidal Malik Hasan überlebt das von den Sicherheitskräften mit Waffengewalt beendete Blutbad hingegen.
Pfarrer Greg Schannep ist gerade auf dem Weg vom Parkplatz zur Feierstunde, als ein Mann in Uniform auf ihn zueilt. "Sir, dort drüben eröffnen sie das Feuer!", ruft er. Zunächst denkt Schannep, dass es sich um eine Übung handelt. Doch dann hört er drei Salven und sieht Menschen, die davonlaufen. Und als der Mann, der ihn gewarnt hat, auch zu laufen beginnt, bemerkt der Pfarrer, dass dieser aus einer Wunde am Rücken blutet.
In jenem Gebäude des Militärstützpunktes, in dem Soldaten vor oder nach einem Auslandseinsatz medizinisch untersucht werden und in dem auch Hasan seit mehreren Jahren gearbeitet hat, herrscht zu diesem Zeitpunkt bereits ein Bild des Schreckens. Mit einer halbautomatischen Waffe und einer Pistole war der im Rang eines Majors stehende Hasan hier vor wenigen Minuten von Raum zu Raum gegangen und hatte das Feuer auf die anwesenden Soldaten eröffnet.
Diejenigen, die sich vor der Festhalle aufhalten, haben mehr Glück. Sicherheitskräfte des Stützpunktes schicken sie in das Innere des Auditoriums und verriegeln die Türen. Dann gelingt es, den nach wie vor um sich schießenden Hasan mit mehreren Schüssen niederzustrecken. Die Nachricht über einen Amokläufer auf der größten US-Militärbasis verbreitet sich daraufhin wie ein Lauffeuer. Überall greifen Angehörige besorgt zum Handy, um sich bei ihren Familienmitgliedern über die Vorgänge auf dem Stützpunkt zu erkundigen, doch ein Durchkommen gibt es kaum.
Im Visier der Behörden
Vor allem dass einer der ihren ein derartiges Massaker anrichten konnte, erschüttert die Soldaten in Ford Hood. "Ich war verwirrt und einfach entsetzt", sagt Unteroffizier Jerry Richard, der im Readiness Center arbeitet, aber während der Schießerei nicht im Dienst war. "In Übersee bist du darauf vorbereitet. Aber hier kannst du dich nicht einmal selbst verteidigen." Hasan selbst gibt den Ermittlern an diesem Freitag während seiner ersten Vernehmung keinerlei Aufschluss über sein Motiv - er schweigt.
Dennoch kommen relativ rasch Indizien zum Vorschein, die auf eine zerrüttete Persönlichkeitsstruktur und ein von Traumata begleitetes Vorleben schließen lassen. Vor seinem Dienstantritt in Fort Hood im Juli hatte der 39-jährige Major am Walter-Reed-Militärspital gearbeitet und sich als Psychiater auf traumatische Störungen spezialisiert. Seinem damaligen Ausbildungsleiter Thomas Grieger zufolge hatte Hasan während seiner Zeit als Assistenzarzt gewisse "Schwierigkeiten" gehabt, die Beratung und besonders Supervision erforderten. Hasans Tante sagt zudem am Freitag aus, dass sich der in Virginia geborene Muslim auch immer wieder wegen seines Glaubens schikaniert fühlte.
Eine zusätzliche Belastung im Leben des 39-Jährigen dürfte auch seine bevorstehende Versetzung in den Irak oder nach Afghanistan dargestellt haben. Hasan habe sich sehr bemüht, seine Entsendung dorthin zu verhindern, sagt der pensionierte Oberst Terry Lee, der früher mit Hasan zusammengearbeitet hat. Zudem habe der 39-Jährige des Öfteren mit Militärangehörigen gestritten, die den Krieg dort guthießen.
Laut der "New York Times" ist Hasan, der vor dem Medizinstudium acht Jahre lang als Berufssoldat gedient hatte, in jüngerer Vergangenheit auch im Zusammenhang mit Internet-Einträgen über Selbstmordanschläge ins Visier der US-Strafverfolgungsbehörden geraten. In den Einträgen, die aber nicht mit letzter Sicherheit Hasan zugewiesen werden können, werden Selbstmordattentäter, die sich für ihre Glaubensbrüder opfern, mit Soldaten gleichgesetzt, die sich auf eine Granate werfen, um ihren Kameraden das Leben zu retten.
Dass Hasan als strenggläubiger Muslim hier ein Zeichen setzten wollte, um zu demonstrieren, dass er nicht gegen seine Glaubensbrüder in den Kampf ziehen will, hält auch der international bekannte Gerichtspsychiater Reinhard Haller für vorstellbar. "Für jemanden mit starken religiösen Überzeugungen ist hier das Dilemma noch viel größer." Möglich sei - neben einer psychischen Erkrankung - aber auch, dass für Hasan schlicht und einfach die Angst zu groß geworden ist. "Da er diese traumatisierten Heimkehrer betreut hat, hat er wohl sehr eindringlich gesehen, was hier alles passiert. Dieses Stoßen an Grenzen begünstigt in Kombination mit einem Ohnmachtsgefühl natürlich eine solche Amokhandlung."
Wissen: Fort Hood
Mit einer Fläche von 880 Quadratkilometern ist der Stützpunkt Fort Hood bei Killeen in Texas die größte Armeebasis der Vereinigten Staaten. Die Militärstützpunkt auf halber Strecke zwischen Austin und Waco kann als einziger der USA zwei bewaffnete Divisionen beherbergen. Seit seiner Gründung 1942 werden dort Panzerbesatzungen ausgebildet und deren Kampfbereitschaft hergestellt.
Zurzeit sind dort rund 42.000 Soldaten stationiert. Familienangehörige und zivile Angestellte mitgerechnet, leben auf dem Gelände aber rund 71.000 Menschen. Fort Hood ist auch der größte Arbeitgeber in Texas. Neben Kasernenbauten und Übungsgelände umfasst das stadtähnliche Areal Wohnhäuser, neun Schulen, ein Postamt und Freizeiteinrichtungen wie Baseballfelder und ein Theater.
Auf dem Stützpunkt befindet sich auch ein Behandlungszentrum für Soldaten, die sich bei Militäreinsätzen posttraumatische Stress-Erkrankungen zugezogen haben. Viele Soldaten in Fort Hood waren im Irak oder in Afghanistan. Auf keiner anderen Basis wurden seit der Irak-Invasion 2003 mehr Selbstmorde gezählt als hier.