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Schmied setzt auf Modulsystem und Individualisierung. | Christa Koenne: "Ich bin gegen Strafwiederholungen". | Expertin: Aufsteigen mit Nicht genügend als außerordentlicher Schüler. | Wien. Montag in einer Woche beginnen in Ostösterreich die Wiederholungsprüfungen. "Das Wiederholen einer Klasse aufgrund von Fünfern in einzelnen Fächern ist sowohl ökonomisch als auch psychologisch nicht sinnvoll", sagt Unterrichtsministerin Claudia Schmied zur "Wiener Zeitung". Sie will der in Österreich besonders hohen Repetentenquote zu Leibe rücken.
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Jährlich müssen 40.000 Schüler zu einer Wiederholungsprüfung antreten, 24.000 bis 34.000 müssen die Klasse wiederholen. Den Staat kostet das rund 300 Millionen Euro jährlich (laut Arbeiterkammer) für den Schulplatz, Familienbeihilfe, Schulbücher und Schülerfreifahrt. Wenn man die Kosten der Familie wie zusätzliche Unterhaltskosten und Verdienstentgang hinzurechnet, macht das sogar 600 Millionen Euro aus.
"Wiederholungen erhöhen die Schülerzahlen und sind daher ein enormer Kostenfaktor", sagt Bildungsökonom Lorenz Lassnigg vom Institut für Höhere Studien. Für ihn hängt die hohe Repetentenquote zum Teil mit dem "objektiven Interesse der Lehrer" zusammen, mehr Schüler im System zu halten.
In der AHS-Oberstufe wird derzeit ein modulares System getestet. Dort ist es möglich, dass negative Noten im Herbst in Form von Leistungskursen ausgebessert werden. Schmied hofft, dieses System ins Regelsystem übernehmen zu können. Außerdem will die Ministerin durch den Ausbau von Förderungen am Nachmittag die Zahl der Fünfer reduzieren, und schließlich wünscht sie sich, dass Noten immer auch verbal ergänzt werden müssen.
Fünfer im Folgejahr ausbessern
Bildungsexpertin Christa Koenne geht mit der derzeitigen Form der Wiederholungsprüfungen, die an den ersten beiden Schultagen stattfinden, hart ins Gericht. Erstens sollten diese schon in der letzten Ferienwoche erfolgen, damit die Organisation in der Schule reibungsloser vor sich gehen kann. Auch für die betroffenen Schüler sei es schwer: "Die Kinder wissen nicht, in welche Klasse sie jetzt gehen sollen."
Zweitens, so die Bildungsexpertin, sei die Nachprüfung die einzige Prüfung, die nicht wiederholt werden könne. "Das ist eine Einmaligkeit im Schulsystem und absolut nicht sinnvoll."
Koenne schlägt vor, dass Schüler, die in einem Gegenstand negativ abschließen, aufsteigen und wie außerordentliche Schüler behandelt werden. Diese Form gibt es bereits für ausländische Kinder, aber auch für Schüler, die vom Gymnasium ins Realgymnasium wechseln - sie können im Laufe des Jahrs die höheren Erfordernisse in den naturwissenschaftlichen Fächern erbringen. "Das würde auch die Zahl der Repetenten reduzieren, die aus einem Racheakt der Lehrer heraus negativ beurteilt werden. Es gibt ja Schüler, die Lehrer ein Jahr lang quälen. Lehrer geben ihre Antwort dann manchmal mit einer negativen Leistungsbeurteilung."
Auch Lassnigg ist gegen die vielen Wiederholungen in Österreich. Das verteuere das System und bringe in der Regel wenig. Bildungsexpertin Christiane Spiel meint, ein Lernzuwachs beim Repetieren sei zwar möglich, aber nicht sicher. Die Schüler leiden aber psychisch, denn es sinke das Selbstwertgefühl und sie würden stigmatisiert. "Sitzenbleiben wird als Versagen erlebt und nicht als Lernunterstützung", erklärt Spiel.
Ein Beispiel: Sophie P. hatte in der vierten Klasse AHS Nachprüfungen in Französisch und Mathematik, schaffte aber nur Französisch und musste repetieren. Im Wiederholungsjahr war das Zeugnis am Ende in allen Fächern schlechter als im ersten Jahr, allerdings ohne Nicht genügend. In der fünften Klasse hatte sie in Mathematik sogar ein Gut. In der Zwischenzeit war allerdings ein Lehrerwechsel erfolgt.
"Das Beispiel zeigt sehr gut die Absurdität. Da liegt ein Systemfehler vor", sagt Koenne. Natürlich gebe es Fälle, wo Wiederholungen etwas bringen, "aber was ich nicht will, sind Strafwiederholungen".
Viel besser sei eben, den Schülern einen außerordentlichen Status zu geben. Im ersten Schritt, so Koenne, sollte man das aber auf ein Nicht genügend beschränken. Außerdem müsse man unterscheiden zwischen schulpflichtigen und nicht mehr schulpflichtigen Kindern. Bei schulpflichtigen Kindern empfiehlt die Expertin, dass die Eltern eine Entscheidung treffen, ob ihre Kinder wiederholen sollen oder nicht.
Aufstiegsklausel schenkt Schülern etwas
Nicht mehr Schulpflichtige "müssen für sich selbst Verantwortung übernehmen", betont Koenne. Denn als Jugendliche müsse ihr Verständnis schon so weit entwickelt sein, dass sie nicht mehr für ihre Eltern oder Lehrer lernen, sondern für sich selbst. "Innerhalb der Schulpflicht übernimmt die öffentliche Hand diese Verantwortung, indem sie Standards setzt, danach müssen die Schüler selbst ihren Weg finden."
"Dass wir diesen außerordentlichen Status nicht haben, ist schade", sagt Koenne. Dieses Modell wäre auch wesentlich sinnvoller als das derzeitige Aufsteigen mit einem Nicht genügend. "Ich bin kein Freund der Aufstiegsklausel, denn da wird den Kindern etwas geschenkt. Aber ich bin auch gegen den Druck der Nachprüfung."