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Zu viele Kliniken mit zu wenig Praxis. | Kunstfehler als "Verschluss-Sache". | Ärzte empört, Patientenanwalt gibt Autor recht. | Wien. Der Wirbel über den Pharma-Thriller "Korrupte Medizin" von Hans Weiss ist kaum verklungen, erhitzt das nächste Medizin-Skandalbuch die Gemüter: In seinem am Montag präsentierten Werk "Verschlusssache Medizin" attestiert Wissenschafts-Journalist Kurt Langbein dem heimischen Gesundheitssystem grobe und vielfach sogar tödliche Strukturmängel. Quintessenz daraus: Zu viele Spitäler mit zu wenig Kompetenzen, zu viele Behandlungsfehler, kein öffentliches Qualitätsmanagement - aber die weltweit höchste Dichte an Spitalseinweisungen. Das Gesundheitsministerium sagt dazu nichts, die Ärztekammer protestiert, die Patientenanwaltschaft applaudiert.
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Grundlage für Langbeins Recherchen war ein unter Verschluss gehaltener Qualitätsbericht der NÖ Krankenhaus-Holding über die Zustände der Landes-Spitäler. Darin zeigte sich, dass viele dieser Häuser zwar komplizierte Operationen durchführten, aber aufgrund mangelnder Fach-Praxis überdurchschnittlich viele und schwere Kunstfehler machten. So betrug die Sterblichkeitsrate bei Magenoperationen im Jahr 2005 im Krankenhaus Neunkirchen glatt 43 Prozent. Man übertreffe mit solchen Raten vergleichbare Kliniken etwa in den USA gleich um das Doppelte, so Langbein.
Mitverantwortlich dafür seien auch übermüdete Ärzte, die vielfach zwischen 24 und 48 Stunden durchgehend Dienst machen müssten und in diesem Zustand nachweislich höhere Fehlerquoten produzieren.
In anderen Bereichen, etwa beim Blinddarm, werde dafür im internationalen Vergleich doppelt oft operiert, teils sogar ohne Wissen des Patienten gesunde Organe entfernt, um auf die für Gelderzuweisungen nötige Punkteanzahl zu kommen. Generell sei das System viel zu aufgebläht: So gebe es in Österreich mit acht Millionen Einwohnern 264 Spitäler mit 65.000 Betten - in Dänemark kämen vergleichsweise 60 Spitäler mit 21.000 Betten auf 5,5 Millionen Bürger, die 16 Millionen Niederländer fänden gar mit nur 100 Spitälern das Auslangen.
Ursache dafür seien nicht zuletzt "lokale politische Interessen, das jeweilige Spital unter allen Umständen zu erhalten". Die Folge: In Österreich landen drei von zehn Einwohnern pro Jahr in Krankenhaus, mehr als irgendwo anders auf der Welt - und etwa die Hälfte davon unnötig.
Langbeins Lösungsansatz fordert, knapp die Hälfte der bestehenden Spitäler zuzusperren und die verbliebenen in hochspezialisierte Schwerpunkt-Kliniken auszubauen. Für die medizinische Grundversorgung speziell am Land reiche es, die derzeit 12.000 Allgemeinmediziner auf mindestens 18.000 aufzustocken. Mit den so ersparten rund drei Milliarden Euro könne man die ärztliche Fortbildung, derzeit Monopol der Pharmafirmen, wieder unabhängig machen.
"Unleugbare Fakten"
Das Büro von Gesundheitsminister verlautete dazu vorerst nur, dass man das Buch noch nicht kenne, sich generell aber "gegen eine Verunsicherung der Patienten ausspreche". Österreichs Ärztekammerpräsident Walter Dorner nannte das Buch empört "billige, sensationslüsterne Panikmache", das "Menschen in Angst und Schrecken versetze". Das von Langbein zitierte Material sei "veraltet oder falsch".
"Befremdet" von dieser Aussage zeigt sich wiederum Gerald Bachinger, Sprecher der Österreichischen Patientenanwälte: Langbeins Thesen seien zwar nicht neu, aber umso aktueller. Die seit Jahren ungelöste Reform des Gesundheitswesens könne kaum auf das Negieren von leider unleugbaren Fakten aufgebaut werden, wie das die Ärztekammer angesichts jeglicher Kritik von außen gerne mache.