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"Der Alte Fritz auf seinem Schloss": Ein wenig respektlos mutet das kleine Gemälde eines Sechsjährigen an, das im weiten Treppenhaus des Großen Waisenhauses von Potsdam hängt. Es ist Teil der Ausstellung "Alte Köpfe. Neue Zöpfe", die den Anfang einer Fülle von Veranstaltungen zum Friedrich-Jahr im Bundesland Brandenburg darstellt. Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene der Kunstschule der Stadt haben sich mit Stift und Farben Menschen des öffentlichen Lebens von einst und heute vorgenommen. Der Ort ist passend gewählt, denn das Große Militär-Waisenhaus ist eine Gründung des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. und wurde unter seinem Sohn Friedrich II. erweitert. Moderne Scherenschnitte, Collagen, Gouachen und Kartoffeldrucke sind die Techniken der ausgestellten Objekte. Übrigens Kartoffel: Eines der Bilder zeigt eine solche Knolle, gestaltet von Charlotte Witte, die in breitem berlinerischem Idiom darunter geschrieben hat: "Danke Fritz - denn was wäre ein Leben ohne Kartoffeln? Nüscht halbet und nüscht janzet!"
Dahinter steckt die alte Geschichte, dass Friedrich II. die Kartoffel in Preußen eingeführt habe. Tatsächlich hat er sich für deren Anbau in den kargen, verarmten und durch Kriegswirren verwüsteten Landstrichen eingesetzt. Friedrich, der Aufgeklärte gegen Friedrich, den Gefühlskalten, der Musische gegen den Feldherren: Schon in dieser ersten Schau zum Thema wird die Widersprüchlichkeit des Herrschers deutlich.
Noch bis 29. Februar läuft diese erste Veranstaltung des Friedrich-Jahres. Wenige hundert Meter entfernt vom Ausstellungsort, auf dem Weg zum nächsten Friedrich-Termin, drehen sich die Kräne um einen Rohbau aus großen Betonelementen: Hier, am alten Markt, soll das in der DDR zerstörte Stadtschloss wiedererstehen und der brandenburgischen Hauptstadt Potsdam ihre alte Mitte und damit Identifikation zurückgeben. Unter Friedrich und seinem Architekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff erhielt es Mitte des 18. Jahrhunderts sein endgültiges Aussehen. Nun soll es, so wie sein Pendant in Berlin, original wieder aufgebaut werden und konservierte Welt von gestern vortäuschen.
Zweieinhalb Stunden nach Eröffnung der Schau im Großen Waisenhaus beginnt im Potsdamer Hans Otto-Theater die Uraufführung der Farce "Fritz!" von Uwe Wilhelm, einem Auftragswerk. Frech und temporeich wollte es Intendant und Regisseur Tobias Wellemeyer anlegen, geworden ist daraus eine etwas unübersichtliche Collage. Viel Bühnennebel wird eingesetzt und mit Platzpatronen geschossen, um dem Stück krimihafte Spannung zu verleihen. Wer darüber hinwegsieht und -hört, kann da und dort etwas vom Anliegen des Autors wahrnehmen: Friedrich II., der von seinem grausamen Vater Gebrochene, der psychisch Geschädigte, der einsam und herrisch Regierende.
Weniger wäre mehr gewesen in dieser Inszenierung. Etliche Gags sind gar zu banal, verdecken manch gelungene Passage oder guten Einfall. Das Grelle, Gehetzte lässt kaum differenzierte Personenzeichnung zu. Lediglich Rita Feldmeier, jahrzehntelange Stütze des Hauses, verleiht dem Regenten - ein hübsch widerborstiger Einfall übrigens, Friedrich mit einer Frau zu besetzen - tragische Würde und Bitterkeit.
Nüchterne Würdigung
Friedrich II. als vielschichtiger, schwer fassbarer Mensch: So wird er auch in den zahlreichen Veranstaltungen zu seinem 300. Geburtstag in Brandenburg wahrzunehmen sein. Allein in der Landeshauptstadt Potsdam finden unter dem Titel "Ein Fest für Friedrich" zwei Dutzend Veranstaltungen statt: in Cafés, Galerien, Kirchen und Konzertsälen. Abgeschlossen werden diese zwei Festwochen mit "Friedrichs Nacht in Potsdams historischer Innenstadt zum 300." Unter dem Titel "Happy birthday, Friedrich" sind für den 24. Jänner Barock- und Rockmusik, sowie eine Ausstellung geplant.
Schon dieses Programm macht deutlich, dass der "Alte Fritz" vom Podest geholt werden und als Mensch betrachtet werden soll, dass man den Brandenburgern und den Gästen des Feierjahres jede mögliche Scheu vor dem steifen Herrscher nehmen möchte. Nicht ehrfürchtiges Bestaunen der preußischen Tugenden oder unreflektiertes Bewundern von Selbstdisziplin und Kadavergehorsam, was später mit in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs geführt hatte, sind die Ausgangspunkte der Beschäftigung mit Friedrich, den die Geschichte auch als "den Großen" kennt. In diesem Jahr soll es zu einer nüchternen Auseinandersetzung mit einer bedeutenden deutschen Herrscher-Figur kommen.
Darauf deutet auch der Titel der zentralen Ausstellung im Neuen Palais von Potsdam hin: "Friederisiko": Immer wieder neue Kriege und immer neues Risiko, neue Wege im Regieren und weitere unbekannte Risiken. Das Wagnis, sagen die Veranstalter, war einer der wesentlichen Charakterzüge des Preußen-Königs. Friedrichs Ideen, Denken und Handeln sollen in der großen Ausstellung, die von 28. April bis 28. Oktober laufen wird, näher gebracht werden. Dazu steht eine Präsentationsfläche im Schloss von 6000 Quadratmetern zur Verfügung. Dabei werden rund 70 Räume erstmals zu sehen sein.
Nicht das große Geschichtsbuch soll in der Ausstellung aufgeschlagen werden, sondern der Besucher des Schlosses wird sich über die Ess- und Schlafgewohnheiten des Herrschers informieren können, seinen Tagesablauf und wie er es als Gastgeber hielt, seine Selbstinszenierung als Philosoph und Feldherr, Musiker und oberster Soldat.
Aus zwölf Blickwinkeln kann man Friedrich kennen lernen - und wohl doch nicht endgültig für sich fassen: Etwa als Komponisten und Komödienschreiber, als einen, der sich stark von Frankreich und seiner Kultur beeinflussen lässt, der die Wirtschaftskraft seines Landes verbessern will, aber seine Probleme mit menschlichen Beziehungen hat.
Dies alles thematisiert auch eine Reihe von Ausstellungen, die quer durch das Jahr über das Bundesland Brandenburg gestreut sind. "Kommt zur Vernunft! Friedrich II. von Preußen" lautet deren doppeldeutiger Titel, der auf die Zäsur verweist, die mit der Aufklärung und der Regierungszeit Friedrichs geschaffen wurde.
Veranstaltungen in Neuruppin und Rheinsberg zeigen einen anderen Friedrich: den unbeschwerten Kronprinzen, der in der Mark sein kleines Paradies findet, ehe er, weil er, vor der künftigen Verantwortung fliehend, vom Vater fast umgebracht und sein engster Freund wegen Verschwörung hingerichtet wird.
Die Freizeit des Flöte spielenden Kronprinzen und sein Wirken als Gartengestalter werden in Neuruppin beleuchtet. Um seine botanischen Vorlieben zu demonstrieren, wird mitten in der Stadt ein Gewächshaus aufgebaut. Im Park des von Friedrich so geliebten Schlosses Rheinsberg werden zu Pfingsten 300 Flötisten aus ganz Deutschland musizieren.
Innere Kolonialisierung
Im Spreewald wird die ehemalige hier verlaufende Grenze zu Sachsen ins Gedächtnis gerufen, das feindliche Gegenüber, das sich im spannungsreichen Verhältnis zwischen Friedrich und dem sächsischen Premierminister Heinrich Graf von Brühl personifiziert.
Gleich mehrere Orte widmen sich der inneren Kolonialisierung durch den "Alten Fritz": Kloster Zinna wurde etwa als frühe "Garten- und Wohnstadt" geplant, in Bad Freienwalde und der alten Garnisonsstadt Prenzlau wird mehr über die Ansiedlungspolitik in der Region und die Urbarmachung des Oderbruchs, der heutigen Grenzregion zu Polen, zu erfahren sein. Damit verbunden ist die oben erwähnte Popularisierung der Kartoffel, was anfangs nicht gelingen wollte, weil die Bauern die Feldfrucht aus Übersee beargwöhnten und nicht anbauen wollten. Trotz "Kartoffelbefehl" des Herrschers. Für den 14. Juli ist deshalb im Fehrbelliner Ortsteil Karwesee ein Fest mit kulinarischen Genüssen angesetzt. Sein Titel lautet "Die Kartoffel trifft Kultur". Dabei sollen alte Kartoffelsorten vorgestellt werden. Die Entwicklungsgeschichte der von Friedrich so favorisierten Frucht wird im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam zu erfahren sein. In einem anderen Museum der Stadt, im Potsdam Museum, wird der Tatsache gedacht, dass das klassische Potsdam, vor den Toren Berlins, eine Schöpfung Friedrichs war.
Hinzu kommen Theateraufführungen wie "Friedrich II. - vom Rebell zum Thronfolger" vor dem Ziethenschloss Wustrau, oder die musikalische Komödie "Sans, Souci. - Hundert Sorgen" der Uckermärkischen Bühnen Schwedt. Brandenburg an der Havel inszeniert im Event Theater "Friedrich Rex Superstar - Der Klang von Sanssouci". Und die Musikfestspiele Potsdam stehen heuer unter dem Titel "Rührt euch! Friedrich der Große, die Musik und Europa". Selbst ein Fahrradkonzert sehen die Festspiele vor. Einer der alljährlich rasch ausverkauften Hits, die Potsdamer Schlössernacht im August, wird diesmal um ein Konzert mit Feuerwerk am Vorabend erweitert.
Letztlich wird Friedrich II. im Film vorgestellt, etwa in einer Filmreihe im Schloss Ribbeck. Zwischen 1920 und 1942 verkörperte ihn der Schauspieler Otto Gebühr 15mal. "Über Gebühr" wird man im Potsdamer Filmmuseum mehr erfahren.
Kaum ein Medium bleibt unbenutzt, keine Spielstätte in Brandenburg verwaist, scheint es. So wird es unter anderem sogar eine barocke Reitinszenierung mit den Pferden der Fürstlichen Hofreitschule Bückeburg geben.
Es ist ein dichtes Programm von Ausstellungen, Musik, Theater und Stadtrundgängen, das Brandenburg dieses Jahr auf die Beine stellt. Fast jeden Tag wird irgendwo im Bundesland eine Ausstellung eröffnet, diskutiert, vorgetragen oder musiziert. Erstaunlich ist die Dichte und das Interesse an einem Stück Geschichte, zu dem die Bewohner der Region ein eher gebrochenes Verhältnis haben: dem Preußentum. Vielleicht ist es aber die unbeschwerte Annäherung, die zu einer Aussöhnung mit dem "Alten Fritz" führen kann: keinem unerreichbaren Ideal, keinem Monster, sondern einem Menschen, dessen Persönlichkeit sich aus den tiefen Verwundungen in der Kindheit und Jugend erklären lässt. Das Veranstaltungsjahr könnte eine Gelegenheit dazu sein.
Stefan May, geb. 1961, Jurist, Journalist und Buchautor, lebt und arbeitet in Berlin und Wien.
Websites:
www.friedrich300.de
www.friederisiko.de
www.preussisches-arkadien.de