Zum Hauptinhalt springen

Slobodan Milosevic verliert die letzte Kraftprobe mit der neuen Demokratie

Von Carsten Hoffmann

Politik

Belgrad - Nach 36 Stunden der Konfrontation rast eine Fahrzeugkolonne mit Slobodan Milosevic über die abgesperrten Straßen von seiner Residenz Richtung Gefängnis. Maskierte Polizisten, die auch in den umliegenden Wäldern bereit liegen, brauchen keinen Schuss mehr abzufeuern. Noch vor dem Morgengrauen hat Milosevic die Kraftprobe mit der neuen Demokratie in Belgrad verloren.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Nur die Milosevic-Tochter Marija verlor im Angesicht der endgültigen Niederlage die Nerven und feuerte irgendwo hinter den hohen Mauern der Villa mehrere Schüsse auf einen Regierungsmann ab. Ein Journalist berichtet: "Fünf Autos rasten aus der Residenz, fünf Schüsse fielen."

Im Kreise der letzten Getreuen und eines wilden Haufens von Leibwächtern hatte Milosevic am Wochenende die Erstürmung seiner Residenz abwehren lassen und der Justiz offen die Stirn geboten. Er werde sich nicht lebend ergeben, sagte er.

Schwarz maskierte Polizisten

Die Gewalt hatte den einst gefürchteten Kriegsherrn des Balkan selbst eingeholt. Schwarz maskierte Zivilpolizisten preschten im Dunkeln vor, Schüsse fielen, hektische Rufe. Ein Panzerwagen bezieht drohend Stellung vor dem historischen Präsidenten-Bau, der auf einem großen, ummauerten Grundstück an der Uzicka-Straße im Belgrader Nobelviertel Dedinje liegt.

Der gestürzte Machthaber blieb sich und seiner Taktik treu, auch als sein Machtimperium nur noch bis zur Grundstücksmauer reichte. Seine gefürchteten Truppen waren auf einen Haufen Wachleute zusammengeschrumpft. Es wurde geschossen und verhandelt. "Wie aufgeben? Warum aufgeben?", sagte Zivorad Igic, sein Stellvertreter als Parteichef der Sozialisten (SPS). "Davon kann keine Rede sein."

Große Verwirrung

In den Stunden zuvor herrschte große Verwirrung darüber, wo Milosevic steckt, ob er sich schon in den Händen der Justiz befindet. Angesichts der unsicher wirkenden Schritte der neuen, demokratischen Regierung muss Milosevic sich sicher genug gefühlt haben. In einem Telefoninterview dementierte er persönlich seine Festnahme. Er verbreitete die Version einer gemütlichen Kaffeerunde, um bald darauf seinen zur "Volkswache" angerückten Sympathisanten zuzuwinken.

Doch die Gruppe seiner Mitläufer und Anhänger gewann nicht wirklich an Schwung. Nur Dutzende von ihnen - letztlich ein kleines Häuflein - stimmten unweit der Residenz lautstark nationalistische Lieder an. "Slobo, komm zurück", forderten sie auf Transparenten. Dass er sich zunächst mit Gewalt seiner Festnahme widersetzte, wird sein Strafregister noch länger machen. "Das erfüllt den Tatbestand des Terrorismus mit schweren Konsequenzen", sagte eine serbische Rechtsexpertin.