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"Slow rolling"

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Wenn Obama tatsächlich meint, was er über den Schutz der CIA- Mitarbeiter sagt, muss er die Vorstellung aufgeben, es in dieser Angelegenheit jedem recht machen zu können.


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"Slow rolling" nennt man es bei der Central Intelligence Agency, CIA-Mitarbeiter wenden es manchmal in politisch heiklen Situationen an: Sie handeln pro forma, sie schieben dringende Mitteilungen von einem zum anderen, schaffen andere Aufgaben aus der Gefahrenzone und halten sich bedeckt. Und leider ist nun, nach der Veröffentlichung der Verhörprotokolle, bei der CIA wieder einmal Slow rolling angesagt. Diese Memos haben, wie ein langjähriger Mitarbeiter sagte, die CIA "wie eine Autobombe in der Auffahrt" getroffen.

US-Präsident Barack Obama hat den CIA-Mitarbeitern zwar versprochen, dass ihnen für die Erfüllung von Anordnungen keine Verfolgung droht. Aber diejenigen, die direkt in der Schusslinie stehen, glauben ihm nicht. Sie glauben, dass die Protokolle viele Ermittlungen und auch Strafen nach sich ziehen werden.

Die Lektion für die jüngeren Mitarbeiter ist deutlich: Zieh den Kopf ein, weiche politisch heiklen Anordnungen aus und halte dich von einem Terrorabwehrprogramm fern, das sich als Karriererisiko erweist.

Durch seinen Besuch bei der CIA hat Präsident Obama versucht, die CIA-Mitarbeiter zu beruhigen, aber am Dienstag gab er bereits dem Justizminister nach und sprach davon, möglicherweise in dieser Angelegenheit jene zu verfolgen, von denen diese Anordnungen kommen - was immer das genau bedeuten mag. Obama glaubt offenbar, dass alles gleichzeitig möglich ist. Das kann aber nicht gelingen - auch nicht einem noch so charismatischen Politiker.

Die Veröffentlichung der Folter-Memos mag als Teil einer überfälligen Image-Kampagne nötig gewesen sein, um das Bild, das die Welt von den USA hat, zu verbessern. Niemand sollte aber behaupten, dass diese Veröffentlichung keine nachteilige Wirkung auf die CIA habe, auf ihre Arbeitsmoral und ihre Leistungsfähigkeit.

Versetzen Sie sich einmal in die Lage jener, die 2002 die inhaftierten Al-Kaida-Verdächtigen vernehmen mussten. Ein früherer CIA-Mitarbeiter erzählte mir, dass er das ablehnte, jedoch nicht, weil er glaubte, das Antiterrorprogramm sei falsch: "Wir alle wussten, dass der politische Wind sich wieder drehen würde." Seine Kollegen, die diese zynische, aber zutreffende Überlegung nicht so offen anstellten, seien nun "völlig fertig und total verwirrt".

Um einen Vorgeschmack zu bekommen, was nun bevorsteht, muss man sich nur an die Wirkung früherer CIA-Skandale erinnern. Ein erfahrener CIA-Terrorabwehrspezialist sagte, dass die Mitarbeiter in seinem Bereich bereits jetzt vorsichtiger sind.

Ein Beispiel dafür ist das sogenannte "Risk-of-Capture-Verhör", das gleich nach der Gefangennahme des Terrorverdächtigen stattfindet. Bisher hat es als zentral für den weiteren Verlauf gegolten: Der Verdächtige wurde einem energischen Verhör unterzogen und seine Handy-Kontakte und der gesamte Inhalt seiner Taschen wurden so schnell wie möglich ausgewertet.

Damit sind die Mitarbeiter nun viel vorsichtiger. Sie warten auf Anleitung vom Hauptquartier. Wie man mir erzählt hat, versuchte die CIA nicht einmal, einen im Irak gefassten Al-Kaida-Verdächtigen zu verhören, sondern übergab ihn gleich dem Militär.

Sorgen macht man sich aber auch um die künftige Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten. Wenn Obama tatsächlich meint, was er über den Schutz der CIA-Mitarbeiter sagt, muss er die Vorstellung aufgeben, es in dieser Angelegenheit jedem recht machen zu können.

Er sollte sich für eine Kommission einsetzen, die hinter verschlossenen Türen arbeitet und erst abschließend die Öffentlichkeit informiert.

Übersetzung: Redaktion