Student an Donauufer zu Tode geprügelt. | Demonstration vor Präsidentenpalast. | Bratislava. Bis vor zwei Wochen war Rechtsextremismus in der Slowakei kein Thema. Dann aber schlugen die Neonazis gleich mehrfach zu. Zunächst missbrauchten 150 vermummte Anhänger der Slowakischen Solidarität (Slovenská Pospolitost) den Anlass der Wiederkehr des Gründungstags der früheren Tschechoslowakei am 29. Oktober zu gewaltsamen Aufmärschen in den Städten Modra, Hlhovec, Ruzomberok und Preov; dabei wurde auch ihr 30-jähriger Anführer festgenommen.
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Am Freitag gab es dann ein erstes Todesopfer: Ein 21-jähriger Philosophiestudent wurde am Ufer der Donau im Bratislavaer Plattenbauviertel Petr alka so schwer verprügelt, dass er auf dem Weg ins Krankenhaus seinen Verletzungen erlag; der oder die Täter sind weiterhin flüchtig.
Liga gegen Rassismus protestiert in Bratislava
Der Mord an dem Studenten lässt nicht nur die Emotionen einer offensichtlich betroffenen Bevölkerung hochkochen, sondern ruft auch die beiden höchsten Männer im Staate auf den Plan. Staatspräsident Ivan Gasparovic und Parlamentspräsident Pavol Hrusovský zögerten nicht einen Moment, eine Ansprache für die Gedenkdemonstration vor dem Präsidentenpalast zuzusagen, zu der gestern Nachmittag die Liga gegen Rassismus aufrief. Nach der Vernehmung von 50 Zeugen geht die Polizei wegen des Mordmotivs mittlerweile von einem Racheakt von Neonazis für einen Übergriff von Linksextremisten aus; dabei habe der Student mit seinen langen Haaren wohl am ehesten dem Feindbild der Skinheads entsprochen. Ein Nachahmungseffekt zu den Unruhen in Frankreich wird nicht vermutet; in erster Linie scheint es nicht um einen Aufschrei sozial Benachteiligter zu gehen.
Die Slowaken sind nach dem Mord an dem Studenten vor allem deshalb zutiefst schockiert, weil politischer Extremismus bisher eigentlich nur im Jahresbericht des Innenministers vorkam. Darüber hinaus soll die Zahl der Rechtsextremen in den vergangenen Jahren auch eher gesunken sein; zuletzt war von rund 150 bekennenden Neonazis die Rede.
Durch die Welle der Gewalt werden nun Fragen aufgeworfen, die schon seit Jahren einer Antwort harren, etwa die nach der slowakischen Identität oder die nach dem, was überhaupt als gefährlich rechts einzustufen ist. Schließlich ist Ján Slota, Bürgermeister von Zilina und bekennender Nationalist, sehr populär weit über die Grenzen seiner Stadt hinaus. Und bis heute schmunzeln die Leute eher darüber, dass alljährlich in den Wäldern der Kleinen Karpaten ein europäisches Treffen derer stattfindet, die sich einen Sport aus dem Tausch echter Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg machen und bisweilen auch gern Kampferlebnisse noch einmal mit allem, was dazugehört, nachempfinden.
Unhinterfragtes Nationalbewusstsein
Bis heute hat keine fundierte Auseinandersetzung um die Bewertung der Tiso-Zeit (1939 bis 1944) stattgefunden, während der es das einzige Mal in der Geschichte vor 1993 eine gewissermaßen eigenständige Slowakei, als Satellitenstaat von Hitlers Gnaden, gab. Nicht zuletzt für viele Geistliche sind genau diese fünf Jahre ein wichtiger Quell ihres Nationalbewusstseins.
Als heikel erweist sich auch der Umgang mit antisemitischen Äußerungen. Der Vorschlag von Justizminister Daniel Lipsic, Auschwitz-Leugner nicht mehr strafrechtlich zu belangen, weil ihnen niemand glaube, ist zwar wieder in der Versenkung verschwunden. Ein ausländischer Beobachter mag sich jedoch bisweilen wundern, wie leicht manchem Slowaken Vorurteile gegen Juden über die Lippen kommen.