Die Benes-Dekrete spielen in der öffentlichen Diskussion in der Slowakei eine äußerst untergeordnete Rolle, meint die angesehene Verlagsleiterin Anna Kolkova, die Mittwochabend im "Club Stephansplatz 4" weilte. Auch auf die Beziehung zur großen ungarischen Minderheit im Land hätten die Dekrete wenig Einfluss - und die Spannungen vergangener Zeiten könnten derzeit generell langsam abgebaut werden.
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Für die Leiterin von "Luc", dem größten katholischen Verlag des Landes, ist die Situation punkto "Benes" mit jener in Tschechien nicht vergleichbar. Schließlich seien in der Slowakei nur wenig Menschen von Vertreibungen betroffen gewesen. Auch der mächtige Chef der Ungarnpartei SMK, Bela Bugar, habe kürzlich erklärt, dass für ihn persönlich die Dekrete keine große Bedeutung hätten, so Kolkova. (siehe S.5)
Zwar war in manchen Regionen des Landes ein wenig Unruhe aufgekommen, als bekannt wurde, dass die SMK das Landwirtschaftsministerium zugeschlagen bekommt. Doch wird Vladimil Podstransky, Chef des Ressorts, Wichtigeres zu tun haben, als sich mit Hofenteignungen der Vergangenheit zu beschäftigen.
Podstransky, bislang Finanzstaatssekretär, wird eine zentrale Rolle in der slowakischen Politik der nächsten Monate einnehmen. Stehen doch die finalen Verhandlungen zum EU-Beitritt an. Auch wenn diese zügig voranschreiten, das Reizkapitel Landwirtschaft ist mit der Slowakei - so wie allen anderen Beitrittswerbern - noch offen. Der erfahrene Politprofi Podstransky sollte aber Garant für gute Ergebnisse sein.
Allgemein scheint sich das traditionell problematische Verhältnis zwischen der Slowakei und Ungarn zu entspannen. So meint etwa die Budapester Tageszeitung "Nepszabadsag", dass die Parteien im Nachbarland ihren "überhitzten Nationalismus" abzulegen begännen. "Womit nicht nur die Slowakei gewinnt, sondern wohl auch das ungarisch-slowakische Verhältnis und die ungarische Minderheit in der Slowakei".
Auch auf kirchlicher Ebene gibt es Fortschritte, betont Anna Kolkova. Als Ergebnis einer Bischofskonferenz Ende September darf sich nun ein slowakischer Priester um "seine" Minderheit in Ungarn kümmern. Ungarischsprachige Messen sind in vielen Teilen der Slowakei längst Praxis.
Während für die ungarische Minderheit angenehme Zeiten anbrechen könnten, trifft das auf die große Zahl von Roma ganz und gar nicht zu. Bei der Wahl vor drei Wochen verzichtete die Minderheit darauf, eine "ihrer" beiden Parteien zu stärken: Zusammen erhielten sie lächerliche 15.000 Stimmen - und dies bei geschätzten 300.000 Roma im Land.
Der Minderheit bläst ein rauer Wind ins Gesicht. So gilt der künftige Innenminister Vladimir Palko (KDH) als Hardliner. Er werde sich wohl mehr um die Polizei kümmern als um den verfilzten Verwaltungsapparat, mutmaßt "Sme". Schlechte Zeiten für Kleinkriminelle, die oft aus den Reihen der Roma kommen. Zudem wird man von vielen Kindern - und dem damit verbundenen Muttergeld - allein in der Slowakei künftig nicht mehr leben können. Einsparungen bei Sozialausgaben sind angekündigt. Dazu kommt noch die allgemeine Stimmungslage in der Bevölkerung. Die angesehene Christin Kolkova: "Ihr im Westen müsstet die einmal erleben. Sehr viele Roma sind asozial, faul und wollen sich nicht integrieren" - freilich gebe es aber auch Ausnahmen.