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Slowakei: Vom Lieblingskind der Investoren zum Sinnbild der Krise

Von WZ-Korrespondentin Karin Bachmann

Wirtschaft
Nach Vollbeschäftigung nun immer mehr Arbeitslose: Nitra, die Universitätsstadt nahe der Grenze. Foto: Stadtamt Nitra

Investorenparadies Nitra von der Krise hart getroffen. | Kündigungen an der Tagesordnung. | Nitra/Pressburg. Mit Milchmischgetränken, Bierspezialitäten und Hausgebackenem wollen die Veranstalter der 36. "Agrokomplex" in der südslowakischen Stadt Nitra Groß und Klein zu einem Besuch verführen. Den Lockrufen zur international renommierten Landwirtschafts- und Lebensmittelmesse haftet jedoch etwas trist Gewordenes an. Nitra, das noch vor kurzem in der Gunst der Investoren ganz oben stand, bekommt die Auswirkungen der Wirtschaftskrise härter als andere slowakische Städte zu spüren.


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Dabei sah es noch vor einem Jahr so aus, als habe die älteste slowakische Stadt nahe der österreichischen Grenze das große Los gezogen. Der Elektronik- und Unterhaltungskonzern Sony kündigte an, dort seinen weltweit größten Standort zu errichten.

Nitra hatte sich in vergangenen Jahren vom agrarisch geprägten Provinzzentrum zu einem führenden Produktionsstandort für Flachbildschirme gemausert. Im Norden der Stadt entstand ein Industriepark, dessen Quadratmeter bei Auslandsinvestoren heiß begehrt waren. Die Geschäfte liefen so gut, dass für die 85.000 Einwohner der Stadt gleich drei Einkaufskomplexe geplant wurden. Der letzte davon, "Mlyny - Mühlen", soll im September eröffnet werden.

Doch nichtKulturhauptstadt

Die Stadt bewarb sich auch als Europäische Kulturhauptstadt 2013. Blitzschnell wurden Vier-Sterne-Hotels hochgezogen für die zu erwartenden Besucher. Die Wirtschaftskrise wurde in Nitra jedoch damit eingeläutet, dass stattdessen Kaschau, die zweitgrößte slowakische Stadt, zur Kulturhauptstadt gekürt wurde. Damit zerstieben viele Träume in der örtlichen Tourismuswirtschaft.

Kurze Zeit später vertagte Sony den Ausbau seines Unternehmensstandorts wegen Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise auf unbestimmte Zeit. Kündigungen sind in der Universitätsstadt nun an der Taggesordnung - Nitra hat als erste Stadt in der Slowakei einen Auslandsinvestor verloren. Zuletzt machte zudem ein großer Textilhersteller dicht. Vor rund zwei Wochen sackte dann die Stimmung auf einen Tiefpunkt, als sich in Handlová, 80 Kilometer Luftlinie nördlich von Nitra, ein Bergwerksunglück ereignete.

Noch im Vorjahr ließ sich in Nitra von Vollbeschäftigung sprechen. Nur 3,55 Prozent der Erwerbsfähigen waren im April 2008 ohne Arbeit, ein mit der "ewig boomenden" Hauptstadt Pressburg vergleichbarer Spitzenwert. Nun ist die Arbeitslosigkeit in Nitra auf 7,13 Prozent gestiegen.

Was vor einem Jahr zukunftsträchtig, manchmal vielleicht eine Spur zu gewagt erschien, wirkt derzeit wie blanker Hohn. Am überdimensionierten Glaspalast "Mlyny" wirbt gerade einmal ein Modeunternehmen mit seiner Geschäftseröffnung. Im "Nitra" unweit des Messegeländes, dem ersten der drei Einkaufskomplexe, herrscht gähnende Leere. Waren werden teilweise mit Preisnachlässen von unfassbaren 99 Prozent feilgeboten. Dabei hat der Sommer-Ausverkauf noch nicht begonnen.