Die digitale Wirtschaft wird einfacher und billiger. Dafür dürfte die globale Ungleichheit in 30 Jahren gravierender werden.
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Unser gesamtes wirtschaftliches Tun basiert auf dem Grundsatz von Angebot und Nachfrage. Schon immer. Seit jeher tauschen Menschen untereinander Güter oder Arbeitskraft gegen Bezahlung; sei es gegen Geld oder gegen andere Güter oder Dienste, die man selbst benötigt. Dieser simple Grundsatz ist, seit es Zivilisation gibt, unverändert.
Im Wandel sind aber die Dinge und Dienste, die wir anbieten und gegen Geld erwerben. Sie wurden im Laufe der Zeit komplexer, vielfältiger oder sind aus dem täglichen Gebrauch verschwunden. Wie die Steinaxt etwa, die irgendwann dem Eisenwerkzeug gewichen ist. Noch vor zehn Jahren hatte niemand auch nur eine einzige App auf seinem Handy installiert, weil es keine Apps gab. Welche Güter und Dienstleistungen werden wir dann wohl in 30 Jahren tauschen? Welche Ressourcen sind 2050 wesentlich für unser tägliches Leben? Wer verfügt über sie, und wie werden sie verteilt sein?
Seit den 1950er Jahren schreitet die Globalisierung sehr rasch voran. "Jene, die über das knappe Gut hochqualifiziertes Humankapital verfügten, waren die Gewinner", sagt Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV). "Die Geringqualifizierten waren die Verlierer." Dieser Trend wird in vielen Bereichen durch die zunehmende Digitalisierung verstärkt.
Delegieren und Bündeln
Durch die Technologisierung wird in manchen Bereichen immer mehr Arbeit durch Roboter erledigt. Die umstrittene Studie der Oxford-Wissenschafter Carl Benedict Frey und Michael Orborne "Die Zukunft der Arbeit" zeichnet in diesem Zusammenhang ein sehr düsteres Bild und sieht die Hälfte aller heute bekannten Berufe in den USA durch die Digitalisierung in Gefahr. Andere Studien hingegen sehen die Digitalisierung als Chance für neue, noch gänzlich unbekannte Berufsfelder. Wie der Jobsaldo letzten Endes ausfällt, wird die Nachbetrachtung zeigen. In Deutschland ist der Niedriglohnsektor in den vergangenen Jahren trotz fortschreitender Technologisierung auf 3,5 Millionen Menschen gewachsen.
"Wir haben in den vergangenen 500 Jahren zwei wesentliche Entbündelungsprozesse erlebt", sagt Helmenstein. Der erste war das Auseinanderfallen von Produktion und Konsum. Vor der ersten Industriellen Revolution haben die meisten Menschen von dem gelebt, was sie selbst auf ihrem Hof produziert haben. "Der zweite Schritt war die Segmentierung der Wirtschaftsprozesse", so der Ökonom. Heute sind die einzelnen Produktionsschritte voneinander entkoppelt und finden oft nicht in derselben Produktionsstätte statt.
Konsument als Produzent
"Durch die Digitalisierung beobachten wir in Zukunft wieder eine Zusammenführung von Prozessen", meint Helmenstein. Die Wifo-Ökonomin Angela Köppl erklärt das am Beispiel der Energiegewinnung und des Verbrauchs. Die Verbraucher werden künftig auch zu Erzeugern. "Wir müssen wegkommen von der Frage, woher die Energie kommt, hin zur Frage, wofür sie benötigt wird", sagt sie. Das setzte ein ganz anderes Gebäudemanagement voraus. So könnten viel mehr Haushalte etwa mittels Photovoltaik selbst Strom erzeugen und Überschüsse sogar in die Netze speisen. Die gleiche Frage gelte es im Bereich Mobilität zu beantworten. Ein Stück weit sieht Helmenstein die Haushalte in einer Doppelrolle als Konsumenten und Produzenten (Prosumer) durch eine Kommerzialisierung des 3D-Druckers, der eine Vielzahl an Erzeugungsmöglichkeiten bietet.
"Alle klimawissenschaftlichen Studien zeigen uns, dass der Handlungsbedarf, den Klimawandel zu begrenzen, groß ist und rasche Maßnahmen notwendig sind", sagt Köppl. Deshalb sieht sie einen notwendigen Wandel in Richtung Ressourceneffizienz und Langlebigkeit von Gütern. Solche Prozesse werden oft politisch vorgegeben. So haben sich die EU-Staaten vor kurzem auf ein Verbot für Plastiksackerl geeinigt.
Bleibt die Frage: Cui bono? Wer profitiert von diesem möglichen Wandel in der Gütererzeugung? Helmenstein weist darauf hin, dass die Digitalisierung es möglich gemacht hat, digitale Produkte mit nahezu null Grenzkosten zu vervielfältigen und zu verkaufen. Während zur Erzeugung eines neuen Wagens neue Rohstoffe, Arbeiter, Maschinen und mehr notwendig sind, lassen sich ein Algorithmus, ein digitaler Bauplan oder ein digitaler Musiktitel unendlich oft und ohne Aufwand weiterverbreiten. Mit immensen Renditen für jene, die darüber verfügen. "Das stellt uns vor die Herausforderung des Winner-takes-it-all-Prinzips", erklärt Helmenstein. Dass wir bald mit einer arbeitsfreien Welt konfrontiert sein werden, glaubt er nicht. Es würden nach wie vor Rohstoffe, die verarbeitet und verbreitet werden müssten, und vor allem kreative Köpfe benötigt.
Wie die Vermögen im Jahr 2050 weltweit verteilt sein werden, ob die Ungleichheit global zu- oder abnehmen wird, darüber traut sich kaum ein Ökonom so recht zu urteilen. Zu verschwommen ist der Blick in die wirtschaftliche Zukunft, zu fragil sind die unzähligen Nuancen, die schon bald darüber bestimmen könnten, ob die Gesellschaften weltweit reicher oder ärmer werden. Wie wird sich der Brexit auswirken? Rutscht Italien in den finanziellen Kollaps?
Der französische Ökonom Thomas Piketty blickt als einer der wenigen seiner Zunft mehr als 30 Jahre voraus. Dem Autor des Bestsellers "Das Kapital im 21. Jahrhundert" wurde vorgeworfen, in seinem Befund mit ungenügenden Zahlen gearbeitet zu haben. Gemeinsam mit Forscherkollegen hat Piketty heuer wohl auch deshalb eine neue Studie mit weiteren Quellen veröffentlicht. Der Befund blieb gleich: Seit 1980 hat die weltweite Ungleichheit zugenommen. Und sie wird stärker, wenn nichts dagegen unternommen wird.
Die Reichen werden reicher
Global betrachtet gibt es Unterschiede: Laut Befund besitzen die obersten 10 Prozent in Europa heute 37 Prozent des Gesamteinkommens. 61 Prozent sind es im Nahen Osten. Gravierender ist die Schere zwischen Arm und Reich in den USA. Dort hat sich seit 1980 der Anteil des reichsten Prozents am Gesamtvermögen beinahe verdoppelt, die ärmere Hälfte hat sich fast halbiert. Geht es weiter wie bisher, wird der Anteil der weltweit reichsten 0,1 Prozent am Weltvermögen im Jahr 2050 so hoch sein wie der Vermögensanteil der globalen Mittelschicht (etwa 40 Prozent aller Menschen), prophezeien die Studienautoren. Krisen und politische Interventionen ausgenommen.
Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), überrascht der Befund nicht. Der Gesellschaft gehe es im Durchschnitt weltweit zwar "besser" als noch vor 20 Jahren, aber die Ungleichheit in den Ländern habe zugenommen. Die Gründe: Die Einkünfte aus Kapital, etwa Aktiengewinne, wachsen stärker als Löhne, und große Vermögen werden flotter größer, weshalb Reiche die anderen abhängen. Auch die Erbschaften werden weiter ansteigen. Hinzu kommt die Globalisierung, die dazu geführt hat, dass besser Ausgebildete stärker profitieren, was sich weiter vererbt und sich durch die Digitalisierung noch verstärken dürfte. "Kommt kein Börsencrash oder Krieg dazwischen, dann wird sich der Trend fortsetzen", sagt Kocher. Viele Ökonomen seien der Meinung, dass nur Kriege eine Angleichung mit sich bringen würden, weil dabei viel Vermögen zerstört werde. Es sei eine politische Frage, Wege gegen die Ungleichheit zu finden. Das könnten Steuern sein. Aber auch Investition in eine inklusivere Bildung. Letzteres dürfte wohl die beste Versicherung gegen Armut und sozialen Abstieg bleiben. Neue Zeiten, alte Lösungsansätze.