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So anders als Trump

Von Michael Schmölzer

Leitartikel

Der US-Präsident verträgt keinen Widerspruch. Nicht so sein Gegner Joe Biden.


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Kamala Harris wird als Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten an der Seite Joe Bidens in die US-Wahl gehen. Der Demokrat hat eine nicht-weiße Frau ausgewählt, eine Tochter von Einwanderern, die in Amerika Erfolg hatten.

Das Gespann Biden/Harris ist die Antithese zum republikanischen Tandem Trump/Pence, sie stehen für das "andere" Amerika, das liberale, das weltoffene. Jenes Amerika, das zumindest Westeuropäern näher steht.

Die Entscheidung Bidens ist aber auch langfristig bedeutsam. Sollte er die Wahl in November tatsächlich gewinnen, dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass der 77-Jährige nach vier Jahren nicht mehr antritt. Damit wäre Harris unter Umständen die erste farbige Frau, die erfolgreich für das Amt des US-Präsidenten kandidiert.

Der Job, den sie nun übernimmt, ist für gewöhnlich ein dankbarer. Der "Running mate" unterstützt den Spitzenkandidaten, hält sich aber sonst eher unauffällig im Hintergrund. Gibt es im Senat einen Stimmengleichstand, dann entscheidet der Vizepräsident.

Trotzdem hat Biden sehr lange gebaucht, um seine Stellvertreterin zu finden. Die Biografie der Betreffenden muss tadellos sein, jeder Skandal, jedes Skandälchen würde sofort auf Biden abfärben. Dazu kommt, dass ein "Running mate" im Amerika von heute einiges aushalten muss. Denn der Wahlkampf, da sind sich alle einig, wird schmutzig. Die Demokraten trauen dem amtierenden US-Präsidenten alles zu, auch die Verwendung halblegaler und illegaler Mittel. Dass es Donald Trump mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, hat er bereits zur Genüge bewiesen. Biden hat mit Harris’ Wahl in jedem Fall gezeigt, dass er aus einem ganz anderen Holz geschnitzt ist als Trump. Während der amtierende US-Präsident Widerspruch nicht duldet und Menschen mit anderen Ansichten als den eigenen feuert, hat Biden nun eine Parteikollegin an seiner Seite, die ihn vor großem Publikum frontal angegriffen hat. Im Rahmen einer Fernsehdebatte vor einem Jahr warf sie Biden in einem Wortgefecht vor, sich in der Vergangenheit gegen ein Programm gestemmt zu haben, das schwarze Kinder mit Bussen in vornehmlich weiße Schulen gebracht hat. Bidens Frau Jill bezeichnete die Attacke später als "Schlag in die Magengrube".

Es ist nicht vorstellbar, dass Trump ein ähnliches Verhalten tolerieren, geschweige denn den Urheber zum "Running mate" adeln würde. Der Präsident verträgt keine Widerrede, er empfindet demokratische Einrichtungen oftmals als lästige Hindernisse. Seine Sympathie für autokratische Herrscher ist immer wieder unverhohlen zutage getreten. Wie wohltuend anders ist hier Bidens Zugang.