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So entsteht soziale Segregation

Von Georg Koenne

Gastkommentare
Georg Koenne, ist grünes Mitglied im Wiener Stadtschulrat und Geschäftsführer des Österreichischen Zentrums für psychologische Gewaltprävention im Schulbereich (ÖZPGS).

Zu den Anmeldewochen an den Sekundarschulen.


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Der neunjährige Peter geht in die vierte Klasse einer Wiener Volksschule. Seine Lehrerin beschreibt ihn als vif und lebhaft. Sie hat seine Mutter schon im Vorjahr auf die zahlreichen Rechtschreibfehler in Peters Aufsätzen aufmerksam gemacht. Seine Eltern sind gut verdienende Akademiker, und Peter bekommt Nachhilfe. Im ersten Semester der vierten Klasse sind seine Noten auf die Deutschschularbeiten "Gut" und "Befriedigend". Er bekommt nach einem extra geführten Leistungsstandgespräch mit dem Vater ein "Gut" in die Schulnachricht und ist somit "AHS-reif".

Stellen Sie sich vor, Peter heißt in Wirklichkeit Fatima. Ihre Eltern sind erst vor vier Jahren nach Österreich gekommen und haben selber keinen Bildungsabschluss. Sie können sich keine Nachhilfe leisten und haben auch keine Zeit für Gespräche mit der Lehrerin - das erledigt, wenn unbedingt nötig, der Onkel. Fatima schreibt auf beide Schularbeiten ein "Befriedigen" und bekommt diese Note auch in der Schulnachricht. Ihr wird eine Neue Mittelschule nahegelegt, in die sie auch angemeldet wird.

Stellen Sie sich vor, Peter heißt in Wirklichkeit Hans. Seine Eltern sind gerade dabei, sich scheiden zu lassen. Hans ist davon stark emotional betroffen. Er erleidet einen Hörsturz und hat kein Interesse mehr an Schule. Ihm wird ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert. In den Schulnachrichten bekommt er gerade noch ein "Genügend". Er soll in eine Sonderschule gehen.

Stellen Sie sich vor, Peter heißt in Wirklichkeit Susi. Sie findet eine eigene Strategie, mit ihrer Rechtschreibschwäche umzugehen: Sie verwendet nur noch jene Wörter, die sie gut kennt, und schreibt eher kurze Texte. Ihr Vater arbeitet als Hilfsarbeiter, ihre Mutter ist Hausfrau, beide interessieren die schulischen Leistungen ihrer Tochter nicht sehr. Susi bekommt ein "Gut" in den Schulnachrichten und ist somit "AHS-reif". Ihre Eltern melden sie aber in derselben Mittelschule an, in die auch ihr Bruder geht, weil es so praktischer ist.

Auch wenn es sich um erfundene Fälle handelt: Sie kommen so oder so ähnlich in der Realität vor. In Österreich geht etwa ein Drittel aller Kinder in eine AHS-Unterstufe, aber in Wien sind es fast 50 Prozent, während es in Tirol und Vorarlberg gerade einmal 25 Prozent sind. Liegt dem wirklich ein Intelligenzunterschied zwischen den Kindern in Ost- und Westösterreich zugrunde? Wohl eher nicht.

Die Anmeldewochen für die Sekundarschulen finden Mitte Februar statt. In Österreich stehen derzeit rund 80.000 neunjährige Kinder - und mit ihnen ihre Eltern - vor einer der wichtigsten Lebensentscheidungen. Und sie wird wieder nicht nach den Fähigkeiten der Kinder getroffen und schon gar nicht nach ihren Begabungen oder ihren Interessen. Sie hängt vielmehr vom Elternhaushalt und dem Zufall des Geburtsorts ab: So entsteht soziale Segregation, so entsteht Bildungsungerechtigkeit.

Das ist einer der wichtigsten Gründe, warum in Österreich die Bildungsvererbung im internationalen Vergleich so hoch ist. Es wird höchste Zeit, diesem Unsinn ein Ende zu setzen. Wir brauchen endlich die vollständig inklusive, gemeinsame Schule der Schulpflichtigen.