Zum Hauptinhalt springen

So fern und doch so nah

Von Katharina Schmidt

Politik

OGH: Je unabhängiger ein Gutachter agiert, desto eher ist er befangen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Der Minister weiß es. Das Parlament weiß es. Die Richter, Staatsanwälte und Verteidiger wissen es. Die Sachverständigen wissen es. Der Oberste Gerichtshof weiß es. Und jeder hat seine eigene Meinung dazu. Einig ist man sich nur in einem: Die derzeitige Bestellung und Beauftragung von Sachverständigen im Strafverfahren ist reformbedürftig.

Wie berichtet, hat das Parlament schon im vergangenen Sommer in einer Entschließung das Justizministerium dazu aufgefordert, eine Lösung für einige ganz offensichtliche Probleme, die sich aus der Reform der Strafprozessordnung 2008 ergeben haben, zu finden. Unter der Leitung von Strafrechtssektionschef Christian Pilnacek wurde im Ministerium eine Arbeitsgruppe eingerichtet, am Dienstag fand im Ministerium eine hochkarätig besetzte Fachtagung zu dem Thema statt. Die Ergebnisse sollen in einen Ministerialentwurf zur Reform des Umgangs mit Sachverständigen einfließen, der laut Pilnacek noch im Frühjahr fertig sein soll.

Wie vielschichtig das Problem ist, zeigte sich bei der Tagung deutlich: Zum Beispiel gilt der Sachverständige oft als befangen, weil er im Ermittlungsverfahren vom Staatsanwalt bestellt wurde, im Hauptverfahren aber als vom Richter bestelltes unparteiisches Organ des Gerichts agieren muss.

An der Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, den Sachverständigen auch im Ermittlungsverfahren von einem Haft- und Rechtsschutzrichter bestellen zu lassen, scheiden sich die Geister. Die Rechtsanwälte lehnen dies als "rechtsstaatliches Feigenblatt" ab, auf der anderen Seite steht die Vollversammlung des Obersten Gerichtshofs (OGH). Diese hat bereits zwei Mal gegenüber dem Parlament verfassungsrechtliche Bedenken geäußert. Konkret geht es um einen Absatz in der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt ist, wenn die Ladung und Vernehmung der "Entlastungszeugen" nicht unter denselben Bedingungen verläuft wie die der Belastungszeugen. Die Richter schlugen vor, "die Bestellung von Sachverständigen und die Auftragserteilung an diese im Ermittlungsverfahren dem Gericht zu übertragen".

Allerdings erläuterte OGH-Präsident Eckart Ratz, dass die Höchstrichter zur Stellung der Sachverständigen keiner einheitlichen Meinung sind. Vor allem in puncto Stellung der Staatsanwaltschaft an sich - und damit mittelbar auch der von ihr angeleiteten Gutachter: Während die Vollversammlung der Meinung sei, dass der Staatsanwalt im Hauptverfahren als Partei agiert, hätten zuletzt Strafsenate ihren Entscheidungen die Annahme zugrunde gelegt, dass der Staatsanwalt wegen seiner Objektivität eine Art "Richter vor dem Richter" sei.

Wegweisende Entscheidung des OGH-Senats?

Besonders spannend ist in dem Zusammenhang eine quasi druckfrische Entscheidung des OGH-Senats 12 von der Vorwoche, die zu einer grundlegenden Änderung der Strategie der Verteidiger führen könnte. Bisher haben diese stets die enge Zusammenarbeit mit dem Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren als Grund für die Befangenheit des Sachverständigen angeführt, vor allem dann, wenn der Staatsanwalt dem Gutachter sehr konkrete Fragen gestellt hat. Der Richtersenat dreht dies nun um: Er ist der Meinung, dass diese Nähe des Sachverständigen zu den Ermittlungsbehörden dann gegeben ist, wenn der Auftrag unkonkret ist, der Gutachter also selbst inhaltlich als Ermittler tätig wird. Dieses "Ungleichgewicht" könnte laut Senat im Hauptverfahren ausgeglichen werden, indem dort ein neuer Sachverständiger bestellt wird.

Wie Ratz erklärte, hat diese Entscheidung weiterreichende Auswirkungen: Die Bestimmung in der StPO, wonach eine Befangenheit nicht alleine durch die Beschäftigung im Ermittlungsverfahren gegeben ist, ist hinfällig. Das bedeutet laut Ratz auch, dass ab sofort in jedem Strafverfahren genau abgewogen werden muss, ob der Sachverständige als befangen gilt. Tut der Richter dies nicht, besteht die Gefahr der Nichtigkeit.

Gefragt, ob diese Entscheidung den Gesetzgeber unter Druck setzt, rasch eine Lösung zu finden, verneint Pilnacek. Der OGH-Senat habe vielmehr einen "praktikablen Weg" aufgezeigt, wie mit der Sachverständigen-Bestellung in Zukunft umzugehen sei. Man darf also auf den in einen Entwurf gegossenen Weg gespannt sein.