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So kann es einfach nicht weitergehen

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Frankreich steht - ob es will oder nicht - vor einschneidenden Veränderungen. Die drei Favoriten bei den kommenden Präsidentschaftswahlen haben das verstanden. | Als sich der französische Präsident Jacques Chirac vor kurzem von der Politik verabschiedet hat, bestand er noch einmal darauf: "Frankreich ist kein Land wie die anderen". Vive la différence (es lebe der Unterschied), wie die Franzosen gern sagen.


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Die Präsidentenwahlen in sechs Wochen werden das Land jedoch wohl oder übel weg von seiner zelebrierten Außerordentlichkeit und hin zum globalen Durchschnitt führen. Die drei wichtigsten Kandidaten, die sich um die Nachfolge Chiracs bewerben, repräsentieren nämlich alle - jeder auf seine Art - einen deutlichen Bruch mit der bisherigen Politik.

Obwohl die Präsidentschaftskandidaten nicht sehr klar kundtun, wohin es gehen soll, ist das eine Wahl, die Frankreich große Veränderungen bringen wird. "Die Franzosen wissen: So geht es nicht weiter - mit mehr Arbeitslosigkeit und weniger Wachstum als in anderen Ländern", sagte mir ein Politikprofessor.

Nicholas Sarkozy, der konservative Spitzenkandidat, verkündete noch vor zwei Jahren, dass er auf gar keinen Fall mit der alten Politik brechen wolle. Er bekennt sich jedoch offen zu seiner Vorliebe für die USA und wollte unbedingt mit Präsident Bush im Weißen Haus fotografiert werden. Die meisten Franzosen lieben, wenn auch heimlich, Importe aus den USA, was Sarkozy jedoch besonders liebt, ist die liberale freie Marktwirtschaft.

Seine Neigungen in Richtung USA hat Sarkozy in den letzten Monaten allerdings etwas zurückgestutzt, zumindest verbal. Chirac hätte recht gehabt, den Irakkrieg abzulehnen, sagte er zum Beispiel. Und dennoch würde seine Wahl einen deutlichen Bruch mit der gaullistischen Tradition der französischen Außenpolitik bedeuten.

Unter anderem würde Sarkozy wohl näher zu Israel rücken und - obwohl er selbst aus einer Immigrantenfamilie stammt - keineswegs so selbstverständlich freundlich in Richtung Araber sein wie die letzten französischen Präsidenten.

Aber auch Ségolène Royal, die sozialistische Kandidatin, steht für einen Bruch mit der Vergangenheit. Als großes Plus für ihre Wähler gilt zum Beispiel, dass sie unabhängig von der alten Riege ihrer Partei, den "Elefanten", agiert.

Royals politische Positionen sind zwar nicht weniger verschwommen und mysteriös als die Sarkozys, aber alte sozialistische Schule sind sie jedenfalls nicht unbedingt. Sie hat sogar, zumindest andeutungsweise, Veränderungen in der französischen Verfassung angekündigt, die sehr folgenreich sein könnten.

Der Dritte ist Francois Bayrou, der sich dem üblichen Links-Rechts-Schema der französischen Politik entzieht und sich zum Vertreter der Mitte erklärt. Er ist von den Kandidaten vielleicht am ehesten dem alten politischen Stil zuzurechnen, er besteht aber darauf, dass er "den dritten Weg" repräsentiere.

Leicht wird es nicht, in Frankreich Veränderungen durchzuführen, denn die Franzosen hängen mit besonders empfindlichen Gefühlen an ihrem gewohnten Lebensstil, ihrer Kultur, ihrer Sprache. Sie wissen zwar, dass es unmöglich ist, auf Dauer dem wirtschaftlichen und sozialen Druck der erweiterten EU und vor allem der globalisierten Welt zu trotzen, sie wollen aber dennoch, dass Frankreich anders - ein Ausnahmefall - bleibt.

Nun stehen den Franzosen aber doch große Veränderungen ins Haus. Vor sechs Jahren fragte ich einen führenden französischen Politiker, welcher der Kandidaten in der damaligen Präsidentschaftswahl für Veränderung stehe: Keiner, sagte er mir, weil die Franzosen keine Veränderung wollen. Die wollen sie im Grunde ihres Herzens auch heute noch nicht, aber jetzt haben sie gleich drei Kandidaten, die Veränderungen verheißen.

Übersetzung: Hilde Weiss