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Es ist ein historischer Termin: Erstmals seit 65 Jahren treffen sich die Staatschefs Taiwans und der Volksrepublik China. | Die Annäherung löst in Taiwan aber auch Ängste aus.
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Taipeh/Peking/Wien. Es ist ein Treffen, das von Kommentatoren bereits als historisch bezeichnet wird, bevor es überhaupt stattgefunden hat: Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und Taiwans Präsident Ma Ying-jeou werden am Samstag in Singapur zusammenkommen. Auch wenn sie sich aus protokollarischen Gründen laut Informationen aus Peking nur als "Herr" und nicht als "Präsident" anreden werden, treffen sich damit zum ersten Mal seit rund 65 Jahren die Staatschefs von China und Taiwan - damals endete der chinesische Bürgerkrieg, den Maos Kommunisten für sich entschieden hatten. Die unterlegenen Nationalisten der Kuomintang hatten sich nach Taiwan zurückgezogen und dort ihr eigenes Staatswesen aufgebaut.
Die Beziehungen sind bis heute angespannt: Das demokratische Taiwan ist de facto unabhängig - China sieht die Insel jedoch als abtrünnige Provinz an und schließt militärische Gewalt nicht aus, um die Volksrepublik mit der Insel zu vereinen. Die Einladung an Taiwans Präsidenten ist nun eine Kehrtwende von Chinas KP, die ein solches Treffen bisher verweigert hatte, um die Regierung der "Republik China", wie sich Taiwan offiziell nennt, nicht zu legitimieren. Peking würdigt nun die Politik von Ma, der seine Heimat stark an China angenähert hat.
Dies hat in Taiwan nicht nur Freude ausgelöst: Hunderte Demonstranten gingen in Taipeh auf die Straße, um gegen das Treffen zu demonstrieren. Sie fürchten um die Souveränität Taiwans.
Keine politische Frage bewegt die Taiwanesen mehr als ihre Beziehungen zu China: Es geht dabei um die taiwanesische Identität, darum, wie viel Eigenständigkeit die Taiwanesen sich zusprechen wollen und wie die Beziehungen zur Volksrepublik künftig geregelt werden sollen.
Angst vor dem Nachbarn
Auf der einen Seite stehen Präsident Ma und seine regierende Kuomintang-Partei: Der Staatschef ist in den vergangenen Jahren auf China zugegangen. Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen wurden intensiviert, es gibt wöchentlich hunderte Flüge zwischen Festlandchina und Taiwan, Millionen chinesische Touristen kommen jährlich auf die Insel - all das wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen. Das Argument von Ma: Nur wenn die Beziehungen zu China stabil sind, kann Taiwan Frieden haben und prosperieren.
Viele Geschäftsleute unterstützen diesen Kurs: Nicht nur ist China der weitaus größte Handelspartner der Exportnation Taiwan. Viele taiwanesische Unternehmen nutzen auch die chinesische Werkbank. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Konzern Foxconn, der iPhones für Apple oder Spielkonsolen für Nintendo fertigt und in China mehr als eine Million Arbeiter beschäftigt.
Auf der anderen Seite stehen Teile der politischen Opposition und zivilgesellschaftliche Gruppen wie die von Studenten getragene "Sonnenblumenbewegung". Diese fürchtet, dass die Taiwanesen durch die Annäherung an den chinesischen Riesen ihre politischen Freiheiten und ihre Souveränität verlieren. Sei es auch nur durch die Hintertür, indem etwa chinesische Konzerne taiwanesische Medien aufkaufen. Die Sonnenblumenbewegung und andere Protestbewegungen sind sehr aktiv: Sie organisieren Demonstrationen, betreiben Medienarbeit oder veranstalten Diskussionen.
Die Sonnenblumenbewegung will sich von keiner poltischen Partei vereinnahmen lassen, doch profitiert von ihrer Arbeit vor allem die oppositionelle Demokratische Fortschrittspartei (DPP), die viel stärker auf Taiwans Eigenständigkeit pocht als die Kuomintang. Die DPP führt zwei Monate vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jänner die Umfragen klar an. Präsident Ma darf nicht mehr für eine dritte Amtszeit antreten, Tsai Ing-wen von der DPP gilt nun als Favoritin für die Präsidentenwahl.
USA begrüßen Treffen
Dass die China-kritische DPP vor der Machtübernahme steht, könnte auch der Grund sein, warum Xi nun plötzlich zu einem Treffen mit seinem Amtskollegen Ma bereit ist. Die Kuomintang wird somit als Garant für stabile Beziehungen zwischen der Volksrepublik und Taiwan präsentiert. Viele politische Beobachter und die DPP sind jedenfalls davon überzeugt, dass Peking Wahlkampfhilfe für die Kuomintang leisten will. "Wie kann irgendjemand annehmen, dass das keine politische Operation ist, die die Wahl beeinflussen soll?", sagte DPP-Sprecher Cheng Yun-peng.
Vorsichtig begrüßt wurde das Treffen von den USA. Schritte zur "Verringerung der Spannungen" seien willkommen, sagte US-Präsidentensprecher Josh Earnest. Den USA ist an stabilen Beziehungen zwischen Peking und Taipeh gelegen. Sie sind die militärische Schutzmacht Taiwans - und haben kein Interesse an einem Konflikt mit der Volksrepublik China wegen der Insel.
Die Insel Taiwan war immer wieder der Zufluchtsort für Chinesen, die sich in ihrer Heimat bedrängt fühlten - wirtschaftlich oder politisch. Über die Jahrhunderte gab es mehrere Einwanderungswellen auf die Insel, auf der schon indigene Völker lebten.
Die letzte Immigrationswelle aus China gab es im Jahr 1949, als die nationalistische Kuomintang den Bürgerkrieg gegen Mao Zedongs Kommunisten verlor. Anführer Chiang Kai-Shek errichtete in Taiwan eine Diktatur. Beide Seiten, sowohl Taiwan als auch die Volksrepublik, erhoben den Anspruch, alleiniger Vertreter von einem einzigen China zu sein. Mit der Zeit erkannten aber bis auf ein paar Kleinststaaten fast alle Länder die Volksrepublik und nicht Taiwan an.
Taiwan verwandelte sich in den 1990er Jahren in eine Demokratie; die ersten Wahlen gewann aber erst wieder die Kuomintang. Die zweite große Partei, die Demokratische Fortschrittspartei (DPP), stellte jedoch von 2000 bis 2008 mit Chen Shui Ban den Präsidenten. Die DPP pocht vielmehr auf die Eigenständigkeit Taiwans, einzelne Mitglieder streben gar eine Unabhängigkeit als eigenständiger Staat an.
Derzeit regiert wieder die Kuomintang, die vielmehr um einen Ausgleich mit Festlandchina bemüht ist. Sie strebt zwar keine Vereinigung mit China an, will aber auch nicht einseitig die Unabhängigkeit ausrufen. Es ist mehr oder weniger der Versuch, den derzeitigen Status quo der Koexistenz bei gleichzeitig guten Beziehungen zu Peking beizubehalten. Peking hingegen sieht Taiwan als abtrünnige Provinz an, pocht auf die Vereinigung mit der Insel und behält sich die Option auf einen Militärschlag offen.
Taiwans prekärer Status