Also was jetzt: Brücken bauen oder lieber doch nicht?
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Man kann es all jenen Bürgern, die - neben der zweifellos wichtigen Aufgabe, die Welt vor den rechten Faschisten oder den linken Weltverschwörern zu retten - auch noch einen wirklichen Job im wirklichen Leben zu erledigen haben, ganz zu schweigen von einem Privatleben, das diesen Namen auch verdient, kurz: man kann es all diesen Mitmenschen beim besten Willen nicht verdenken, wenn sie langsam, aber sicher den Überblick verlieren.
Während der unsäglich mühsamen elf Monate des heurigen Wahlkampfjahres - und Wahlkampfjahre entsprechen bekanntlich Hundejahren, dauern also gefühlt sieben Mal so lange - war pausenlos die Rede von der Spaltung des Landes: Linke gegen Rechte, Böse gegen Gut, Stadt versus Land, Weniggebildete contra Akademiker, die Ängstlichen gegen die Zuversichtlichen, "wir" gegen "die", Inkludierer gegen Exkludierer und so weiter und so fort. Den meisten hat das ganz gut gefallen, schließlich konnte es sich jeder dort einrichten, wo es ihm am besten gefiel. Und notfalls noch schnell den Platz tauschen ging auch.
Dann unmittelbar vor und nach dem 4. Dezember, dem Tag, als Österreich nicht nur Europa, sondern die Ehre der ganzen liberalen Welt gerettet hatte, redeten alle davon, dass es jetzt vorbei sein müsse mit diesen Spaltereien. Der Befehl zum Tag für jeden guten Bürger lautete nun "Gräben zuschütten" oder "Brücken bauen", je nach Ausbildungsgrad der Aufgeforderten eben. Doch das sollte auf keinen Fall als eine, diesmal versteckte Aufforderung zu einer fortgesetzten Spaltung des Landes fehlverstanden werden. Die Sache mit dem "Zusammenführen, was zusammengehört" war durchaus ernst und gut gemeint.
Aber gut gemeint ist bekanntlich für einige das Gegenteil von gut gemacht. Entsprechend schlecht kommt hier die Aufforderung zum Brückenbauen weg. Das sei wieder einmal typisch österreichisch, "Schwamm drüber", wieder alle lieb haben samt Schulterschluss und Schlussstrich. Und wohin uns die beiden Letzteren geführt haben, sei ja wohl gerade in diesem Land nur zu gut bekannt. In anderen Worten: Gräben zuschütten sei das liebste Hobby von Diktatoren, die ja bekanntermaßen verlässlich das ganze Volk hinter sich haben, und zwar möglichst ungeteilt und einstimmig. So gesehen gehörten Spaltungen irgendwie zur Demokratie dazu.
Diese Debatte ist so typisch für Österreich, dass es nicht mehr lustig ist. Auch im 72. Jahr der Zweiten Republik ist es noch immer nicht gelungen, ein ungefähres Gefühl dafür zu entwickeln, wie eine vernünftige Mischung von miteinander streiten und sich gegenseitig liebhaben in einer komplizierteren Gemeinschaft im politischen Alltag ausschauen könnte. Daran sind natürlich die vorangegangenen 71 Jahre nicht gänzlich unschuldig (und natürlich nicht zu vergessen: das Scheitern der Ersten Republik), aber irgendwann ist die Vergangenheit auch nicht mehr schuld an der suboptimalen Gegenwart. Weshalb es hoch an der Zeit wäre, sich auf folgende Zauberformel zu einigen: Ja, streiten gehört unbedingt zur Demokratie, sonst ist es keine. Und nein, das heißt nicht, dass die jeweils andere Seite automatisch unrecht hat. Deswegen sind die "drüben" trotzdem Teil des Ganzen.