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So realistisch ist ein zweiter Börsencrash

Von Sonja Wind

Wirtschaft

Die Erholung vom Corona-Aktienabsturz im März ging ungewöhnlich rasch vor sich - ein Auftakt zum Börsencrash 2.0?


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Es war der längste Bullenmarkt der Geschichte. Aus dem Börsenjargon übersetzt bedeutet das: Der Höhenflug der Aktienkurse schien kein Ende zu nehmen - bis Covid-19 die Welt in Stillstand versetzte. Die Wirtschaft erstickte an den strengen Lockdown-Maßnahmen, und die Aktienkurse krachten Mitte März das erste Mal seit langem in ein Tief.

Heute - nur wenige Monate nach dem Börsencrash - scheint es an den Märkten teilweise fast so, als hätte es keine Pandemie gegeben. Viele Aktienkurse befinden sich auf annähernd hohem Niveau wie vor der Krise - allen voran jene in der Technologiebranche. Der US-amerikanische IT-Index Nasdaq-100 verbuchte zuletzt sogar neue Rekordwerte.

Aktienkurse sind realer Wirtschaft davongelaufen

Gerade diese schnelle Erholung der Aktien wirft Fragen rund um einen erneuten Börsencrash auf. Die positiven Entwicklungen an der Börse stehen im Widerspruch zur gebeutelten Realwirtschaft, die tief in einer Rezession steckt. Könnten die jüngsten Kursexplosionen die Vorboten eines zweiten Börsenkrachs sein?

Geht es nach den beiden Börsenexperten Monika Rosen und Peter Brezinschek, ist das eher unwahrscheinlich. Sehr wohl sieht Brezinschek aber die Gefahr einer Überbewertung der boomenden Tech-Aktien.

Börsencrash verlief ungewöhnlich

Der Verlauf des Corona-Börsencrashs sei einmalig, sagt Rosen, die Chefanalystin der Unicredit Bank Austria ist: "Bei vergangenen Korrekturen war das Tief ein Prozess." Üblicherweise würden die Aktienkurse mehrmals ansteigen und wieder fallen, bevor Erholung eintritt. "Das war sowohl bei der Dotcom-Krise 2002 als auch bei der Finanzkrise 2008/9 so", sagt Rosen. "Diesmal gab es davor den längsten Bullenmarkt aller Zeiten und anschließend den kürzesten Bärenmarkt aller Zeiten an der Wall Street."

Ungewöhnlich war außerdem die Plötzlichkeit des Einsturzes, wie Brezinschek - er ist Chefanalyst der Raiffeisen Bank International (RBI) - erklärt. Normalerweise würden die Aktienkurse schon vor der Rezession einen Abschwung markieren. "Das konnte diesmal nicht der Fall sein, weil niemand so eine Pandemie vorhersehen konnte", sagt er.

Für die ungewöhnlich schnelle Erholung am Aktienmarkt gebe es "ein Bündel von Einflussfaktoren". Die zwei wesentlichsten Gründe, so Brezinschek, seien einerseits die massiven Geldspritzen der Notenbanken und andererseits das für 2021 prognostizierte Wirtschaftswachstum. "Seit dem April erholen sich die Wirtschaftsvorlaufindikatoren, es entwickeln sich auch die Auftragszahlen wieder nach oben. Daher nehmen die Börsen diese Entwicklung vorweg", meint er und beruft sich dabei auf Wachstumsprognosen von um die vier Prozent für nächstes Jahr.

Wiener Börsen-Leitindex bleibt auf der Strecke

Der Aktienaufschwung war freilich keine uniforme Bewegung, sondern von einer relativ kleinen Gruppe getragen: den Technologie- und Pharma-Aktien. Diese boomenden Branchen sind vorrangig in den US-amerikanischen Aktienindizes vertreten. Der Wiener Börsen-Leitindex ATX setzt sich hingegen aus traditionelleren Branchen wie Energie, Finanzen und Immobilien zusammen.

Die Konsequenz daraus lässt sich an der Performance ablesen: Während der US-Technologieindex Nasdaq-100 Anfang September ein neues Allzeithoch mit einem Plus von rund 30 Prozent gegenüber seinem Punktestand vor der Krise markierte, kämpft der ATX mit einem Verlust von etwa 30 Prozent.

Überbewertete Tech-Aktien statt Börsenkrach

Nach Einschätzung Brezinscheks wird dieses Zeitalter des Technologie- und Internetbooms jedoch nicht mehr lange anhalten. "Hier ist eine Übertreibungsphase im Gang, das sage ich ganz offen", so der Börsenexperte. Tesla etwa verzeichne kaum Gewinne und sei trotzdem hoch bewertet. Auch andere amerikanische IT-Aktien wie Amazon oder Apple seien "heißgelaufen" und würden irgendwann in der Zukunft ihre Attraktivität verlieren.

Statt den teuren Tech-Aktien nachzulaufen, könnte es aus Sicht von Brezinschek sinnvoller sein, in traditionelle Branchen wie den Maschinenbau oder den Transport zu investieren. "Wenn sich der Konjunkturaufschwung dann in besseren Umsatzzahlen in diesen Branchen niederschlägt, dann werden diese Unternehmen vielleicht stärker profitieren", meint der RBI-Chefanalyst.

Auch seine Fachkollegin Rosen glaubt an einen Favoritenwechsel - weg von den "Tech-Darlings": "Dieser Dominanz der Technologie-Aktien scheint ein bisschen die Luft auszugehen."

"Überbewertungen erhöhen Rückschlagsgefahren"

Dass es zu einem weiteren Börsencrash kommen wird, glauben die beiden Aktienexperten nicht. "Aufgrund der weiteren Liquiditätszuflüsse der Notenbanken halte ich einen Börsenrückschlag über mehrere Wochen und Monate für unrealistisch", sagt Brezinschek. "Was ich sehr wohl sehe, sind Überbewertungen. Und das erhöht die Rückschlagsgefahren - aber nur temporär."

Rosen sieht das ähnlich: "Wir halten eine Korrektur für möglich. Deswegen haben wir die Aktienquote auf neutral gesetzt. Wir gehen aber nicht davon aus, dass wir das Tief vom März nochmals erreichen."