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So wirken sie halt, die Mythen und Sagen . . .

Von Helmut Dité, Le Castellet

Wirtschaft

Wer als Kind bei Karl May begeistert erfahren hat, dass Old Shatterhand sein Pferd zu höchstem Tempo anspornte, indem er ihm in vollem Galopp seinen indianischen Namen ins Ohr rief, wer also glaubt, dass Sound bewegt, wird den sonoren Bariton des Turbo-Direkteinspritzmotors im neuen Golf GTI beim Zurückschalten und Gasgeben nicht oft genug hören können. Jüngeren Interessenten an guten mechanischen Pferden wird empfohlen, ausnahmsweise der Werbung zu glauben: "Der Mythos ist zurück." Schließlich spielt doch auch die VW-Werksfußballmannschaft Wolfsburg plötzlich wieder um den deutschen Meistertitel mit, seit sie mit dem GTI-Logo auf dem Trikot aufläuft, oder etwa nicht?


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"Seid's narrisch?", soll er gut wienerisch gefragt haben, damals Mitte der 70er-Jahre, der damalige Volkswagen-Konzernchef und "Vater" des VW-Golf, Professor Ernst Fiala, als ihm zu Ohren kam, dass ein Grüppchen von Ingenieuren in Wolfsburg quasi im Untergrund an einer Sportversion des 1974 debütierenden "Käfer"-Nachfolgers arbeitete. "Viel zu teuer" sei so ein Wagen für die VW-Kundschaft.

Seit 1973 trafen sich, so geht die Sage, unter anderen die Herren Löwenberg, Horntrich, Halblitzl, Schwittlinsky und Konrad bei Bier und belegten Broten und sinnierten über einen "Sportgolf" nach. Die erste Version mit 100 PS-Registervergaser, einem knochenharten Fahrwerk und einem Ofenrohr-Auspuff sei etwas über das Ziel hinausgeschossen, räumte der damalige VW-Pressechef und Motorsportenthusiast Anton Konrad später ein, "das war ein brüllendes Ungeheuer".

Also wird die nächste Version "ziviler", bis der offiziell als "Fahrwerksversuchsträger" deklarierte Prototyp schließlich im Frühjahr 1975 auch Professor Fiala gefällt: Im Herbst bei der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt soll er als "Hingucker" den VW-Stand schmücken, lautet der Auftrag.

Am 11. September 1975 steht die Studie Studie des Golf GTI auf dem VW-Stand, ein rotes Wunder, rote Streifen am Kühlergrill, vergrößerter Frontspoiler, Kunstoff-Kotflügelverbreiterungen, ein Golfball als Schalthebel. Der "schnellste Volkswagen aller Zeiten" beschleunigt mit einem 1,6-Liter-Einspritzer mit 110 PS in neun Sekunden von Null auf 100. Mit einem Spitzentempo von 182 km/h lässt er wesentlich größere und teurere Autos hinter sich, "demokratisiert" die deutschen Autobahnen. Die begeisterten Reaktionen des Messepublikums bewegen den Vorstand dazu, eine einmalige Sonderserie von 5.000 Stück des Autos bauen zu lassen.

Der Rest ist ebenfalls sagenhaft: 13.850 D-Mark kostet er schließlich, als er Mitte 1976 auf den Markt kommt - und schon im ersten Jahr verkaufen die Händler das Zehnfache der geplanten Stückzahl. Kein Wunder: "Einen Alpenpass im GTI zu erklimmen - das zählt gewiss zu den reizvollsten Aufgaben, die sich einem Automobilisten stellen können", schwärmte das Fachmagazin "auto motor und sport".

Die GTI-Klasse war geboren, bis heute wurden mehr als 1,5 Millionen Stück verkauft, mehr als 93% aller Europäer und fast 99% der Deutschen assoziieren mit "GTI" den Golf - auch wenn das "Gran Tourismo Injection" nicht als Marke geschützt ist.

Im Herbst 2004 steht bei VW wieder einmal eine Art Zeitenwende an: Das Geschäft läuft nicht berauschend, Vorstand und Gewerkschaft verhandeln zäh über Kostensenkungen und Produktionsverlagerungen in Länder mit niedrigeren Löhnen. "Ihr seid verrückt mit euren teuren Luxuswagen", sagt diesmal der Betriebsrat, fordert billigere Volkswagen.

Diesmal hat Vorstandschef Pischetsrieder schon bei der Vorstellung der fünften Generation des "Brot-und-Butter"-Autos Golf einen neuen GTI angekündigt. Der soll nicht mehr nur wie i den letzten Jahren eine "entkoffeinierte" Ausstattungsvariante des Golf sein, sondern den Kreis zur ursprünglichen Idee schließen - als eigenständiges Modell.

Voila, da steht er jetzt auf Bernie Ecclestones Formel-Eins-Teststrecke in Le Castellet: Wieder rot, wieder mit rot eingefasstem Kühlergrill. Vom Urahnen unterscheidet er sich deutlich: 200 statt 110 PS, 280 Newtonmeter Drehmoment statt 140, in knapp sieben Sekunden ist er auf 100, Schluss ist erst bei 235 km/h.. Einen halben Meter länger, 7 Zentimeter höher, 14 Zentimeter breiter, gut 500 Kilo schwerer, 225er statt 175er-Reifen aufgezogen - aber auch der 2.0-Liter FSI-Direkteinspritzer-Turbomotor soll sich immer noch mit acht Litern Benzin auf 100 Kilometern begnügen.

Ab etwa 27.000 Euro ist er zu haben - nominell etwa viermal so teuer wie der Urahn, gut doppelt so teuer wie ein Einstiegs-Golf.. 15.000 Stück pro Jahr wollen die VW-Leute verkaufen sagen sie. Nur? Auch auf Nachfrage geben sie keine größeren Erwartungen zu, schmunzeln immerhin.

Nun, schon ehe er jetzt Mitte November erstmals bei den Händlern in Deutschland und Österreich zu besichtigen war, haben 3.000 Leute ihn "blind" gekauft. Hat man da wieder einen Nerv getroffen?

Wir durften ihn ein paar Runden um den "Circuit Paul Ricard" in der Provence treiben, dort, wo sonst die Formel-Eins-Teams ihre Boliden testen. Geht saugut, liegt saugut, macht mit dem DSG-Doppelkupplungsgetriebe auch einem früheren österreichischen Rallye-Meister zum Automatik-Fan.

Er ist, - so musste es ein damaliger Werbetext für seinen Urahnen noch extra beteuern- , "auch von Hausfrauen bei innerstädtischen Einkaufsfahrten ruckfrei zu bewegen". Und: "Einen GTI über hügelige Landstraßen zu steuern, - etwa die kurvenreiche Corniche de Cretès bei Sanary sur Mer an der südfranzösischen Küste - , gehört gewiss zu den reizvollsten Arten der Fortbewegung seit Old Shatterhands wilden Ritten über Prärien und quer durch die Wüsten", schreibt die "Wiener Zeitung".