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"Solange wir konsumieren können, ändert sich nichts"

Von Philip Hautmann

Europaarchiv

Jugendforscher über die Selbstwahrnehmung von Arbeitslosen.


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"Wiener Zeitung": Wie geht es arbeitslosen Jugendlichen, die auf Bewerbungen ständig Absagen bekommen?

Manfred Zentner: Bei anhaltender Arbeitslosigkeit wird das Selbstverständnis stark getroffen. Identität und Eigenwert werden dann über andere Dinge festgelegt und über andere Kanäle gesucht.

Bedeutet das, dass junge Arbeitslose dadurch besonders anfällig werden für rechte Populisten, die unterschwellig stark auf dieser Ebene kommunizieren?

Das muss man differenzierter sehen. Solche Politiker werden ja auch von Leuten gewählt, die Jobs haben, sich aber um deren Erhalt Sorgen machen. Dass wir in einer Zeit leben, in der eine große Unsicherheit besteht, was die Arbeitsverhältnisse anlangt, ist ja ein allgemeines Problem, das über das der Arbeitslosigkeit hinausgeht. Tatsächlich ist es heutzutage weniger so, dass junge Arbeitslose für politische Losungen überhaupt noch aufgeschlossen wären. Eher wollen sie mit Politik ganz im Allgemeinen nichts zu tun haben und auch nichts von Politikern wissen. Das ist aber freilich ein genereller Trend.

Aus welchen Quellen bezieht dann ein junger Mensch, der von Arbeitslosigkeit betroffen ist, Selbstverständnis und Eigenwert?

Über den Konsum! In schlechteren Fällen kann das auch der Konsum von Alkohol oder Drogen sein. Im Allgemeinen also: durch eskapistisches Verhalten, dessen allgemeiner Nenner heute der Konsum ist. Solange wir die Möglichkeit haben zu konsumieren und Partys zu feiern, wird sich nichts Grundlegendes ändern. Zu früheren Zeiten, in der Großen Depression der Dreißiger Jahre, war man als Arbeitsloser von der Möglichkeit zu konsumieren ausgeschlossen. Und ist entweder in vollständige Apathie verfallen, wie das ja in der bekannten Studie von Lazarsfeld und Jahoda festgehalten wurde, oder hat sein Heil in extremen politischen Lösungen gesucht.

Es scheint aber nicht so zu sein, dass junge Arbeitslose heute innerlich so verwahrlosen und apathisch werden wie die Arbeitslosen vom Marienthal?

Was wir bei unseren Untersuchungen bemerken, ist, dass junge Leute heute zwar im Allgemeinen negative Erwartungen haben, was die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung und die Verhältnisse am Arbeitsmarkt anlangt, gleichzeitig aber optimistisch sind, dass sie selber es schon schaffen werden. Das ist eine Tendenz, die wir in den letzten 10 bis 15 Jahren verstärkt wahrnehmen. Man ist und denkt individualisierter. In dem Sinn kann man sagen, dass der Neoliberalismus in den Köpfen angekommen ist.

Wie ist das aus gesamtgesellschaftlicher Sicht und im Hinblick auf die Politik zu bewerten?

Als Sozialwissenschafter, der neutral hinter seine Beobachtungen zurücktritt, kann ich zunächst feststellen, dass mit diesem Individualismus durchaus auch ein Gefühl für eigene Verantwortung einhergeht. Man will mehr Freiheit, akzeptiert dabei aber, dass man dadurch auch mehr Verantwortung für sich trägt. Wie man das jetzt bewerten soll, ist Sache des Betrachters. Klar ist, dass es für Politik und Wirtschaft so leichter ist, sich ihrer Verantwortungen zu entziehen.

Es ist nun aber nicht so, dass eine solche Verantwortung der Politik von der Bevölkerung nicht eingefordert werden würde. Zumindest in den südeuropäischen Ländern, in denen die Arbeitslosigkeit ein massives Problem ist, regen sich Protestbewegungen.

Genau, in Spanien, Portugal und Griechenland gibt es einen Protest gegen die Jugendarbeitslosigkeit, der sich durch alle gesellschaftlichen Altersklassen und Schichten zieht. Wo Großeltern und Eltern dagegen aufbegehren, dass alle ihre Bemühungen und Entbehrungen, die sie auf sich genommen haben, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu schaffen, scheinbar fruchtlos geworden sind.

Wenn aber die Bevölkerung, so wie in Griechenland, jedoch auch ganz allgemein, nur mehr einen diffusen Zorn gegen die Verhältnisse artikuliert, ist das politisch nicht mehr greifbar.

Wo ich eine Möglichkeit für die Politik sehe, ist, dass politische Parteien, die sich für die Rechte der Arbeitnehmer einsetzen, Zulauf erhalten dürften. Das können auch Abspaltungen von herrschenden Parteien oder neue Partien sein. Einen sozialutopischen Aspekt, so wie in der 68er-Bewegung, sehe ich aber in der heutigen Jugend nicht mehr, dass der artikuliert und mitgetragen werden könnte. Ob klassische linke Forderungen und eine anti-neoliberale Politik, die auf eine Umverteilung der Vermögen und auch auf eine Neuverteilung der Arbeitszeit abzielt, etwas bewirken können, ist eine schwierige Frage. Tatsächlich hängt es von der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung ab, was auf den Arbeitsmärkten passieren wird. Und wahrscheinlich ist, dass alle weniger verdienen werden.

Zur Person
Manfred Zentner (45) ist Sozialforscher am Wiener Institut für Jugendkulturforschung, Mitglied beim "Pool of European Youth Researchers und offizieller Korrespondent Österreichs beim "European Knowledge Center for Youth Policy". Seine Arbeitsschwerpunkte sind Jugend und Europa und Politische Partizipation von Jugendlichen.