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Solidarität als Selbstschutz

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Bei hoher Jugendarbeitslosigkeit ist es "zynisch zu sagen, die Krise ist vorbei".


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Straßburg. Die Abgeordneten ließen sich Zeit. Und etliche von ihnen erschienen erst gar nicht. Jene EU-Parlamentarier aber, die nach einer Sitzungsunterbrechung in den Plenarsaal zurückkehrten, schienen es nicht eilig zu haben. Einige fanden sich auf den Gängen zwischen den Sitzreihen in Grüppchen zu einem kurzen Plausch zusammen, andere prüften noch schnell die Nachrichten in ihren Mobiltelefonen. Ein paar österreichische Mandatare begrüßten Regionalkommissar Johannes Hahn, der ebenfalls aus Brüssel angereist war. Die rechte Seite des Saales, wo Vertreter rechter und teils radikaler Parteien Platz nehmen, blieb allerdings so gut wie leer.

Etwa ein Viertel der 754 Europaparlamentarier waren gekommen, um an der Debatte mit dem österreichischen Bundeskanzler teilzunehmen. Werner Faymann war zu einer Aussprache mit den Mandataren über die Zukunft der Union geladen.

Es war kein völlig alltägliches Ereignis. Auftritte von Staats- und Regierungschefs vor dem EU-Parlament haben noch keine lange Tradition. Geht es aber nach dem Abgeordnetenhaus, könnten sie sich durchaus etablieren. Bisher war es üblich, dass der Minister- oder Staatspräsident des jeweiligen EU-Vorsitzlandes dessen Pläne präsentierte und sechs Monate später eine Bilanz zog.

Doch will die Volksvertretung wieder ihre Bedeutung betont wissen. Dem Dialog müssten sich die Regierenden stellen, heißt es daher. Das kann in manchem Fall einer Befragung ähneln, wie beim ungarischen Premier Viktor Orban, der nach Straßburg zitiert wurde, um Vorwürfe eines undemokratischen Regierungsstils abzuwehren. Oder es kann Politikern dazu dienen, ihre Vorstellungen von der weiteren Entwicklung Europas darzulegen. So war es, als Ende des Vorjahres die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel vor EU-Abgeordneten in Brüssel ihre politischen Leitlinien absteckte.

"Schwaches Europa schadet"

Nun war es naheliegend, dass der sozialdemokratische Parlamentspräsident Martin Schulz zunächst einmal seine Fraktionskollegen einlädt. Faymanns Rede im Plenarsaal soll schon bald ein Auftritt des französischen Staatspräsidenten François Hollande folgen. Der Leiter der SPÖ-Delegation im EU-Parlament, Jörg Leichtfried, freute sich: Die Besuche zeigten, dass das Abgeordnetenhaus für die Regierenden wieder interessant und wichtig werde. Die Zufriedenheit der österreichischen Mandatare mit Faymanns Visite war übrigens fraktionsübergreifend. Auch ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas sprach von einem richtigen Schritt.

Lob gab es aber auch von Faymann selbst - und zwar für sein Land. In seiner Rede zeigte er sich stolz auf die Erfolge Österreichs bei der dualen Ausbildung von Jugendlichen. Schon in der ersten Minute seiner Ansprache hatte er eines der derzeit drängendsten Probleme in Europa thematisiert: die wachsende Zahl arbeitsloser junger Menschen. Und solange jeder vierte Unter-25-Jährige in der EU keinen Job habe, sei es "zynisch zu sagen, die Krise ist vorbei". Daher plädierte der Bundeskanzler für sozialen Zusammenhalt: "Es kann uns nur gemeinsam gut oder schlecht gehen. Wenn wir Europa stärken, stärken wir uns selbst - wenn wir es schwächen, schaden wir uns selbst."

Gemeinsam müsste daher auch das Schadensmanagement zur Bekämpfung der Wirtschafts- und Finanzkrise erfolgen. Faymann verteidigte Instrumente wie den Euro-Rettungsschirm und sprach sich für die Einrichtung eines Schuldentilgungsfonds aus. Aber auch die Finanzmärkte müssten ihren Beitrag leisten, befand der Kanzler. Schädliche Spekulationsgeschäfte müssten verboten werden, und bei Banken sei eine klare Trennung zwischen dem Einlagenteil und dem Bereich des Investmentbanking nötig.

Umgekehrt dürfte es als Antwort auf die Krise aber kein "Kaputtsparen" geben - was ebenfalls bei den derzeit laufenden Verhandlungen über den Haushalt der EU für die Jahre 2014 bis 2020 zu bedenken sei. Doch davon müsste Österreich auch noch ein paar weitere Nettozahler überzeugen, die mehr ins Unionsbudget einzahlen, als sie daraus zurückbekommen. Gelegenheit dazu hätte Faymann bereits in wenigen Wochen bei einem Gipfeltreffen mit seinen Amtskollegen.