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Solidarnosc ist vorbei

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Gewerkschaften kaum noch existent. | Kein Gegenüber auf Arbeitgeberseite. | Wien. Die Zeiten der Solidarität sind in den ehemals kommunistischen Staaten Osteuropas schon längst vorüber. Die dortigen Gewerkschaften kämpfen mit einem ungleich höheren Mitgliederschwund, als er ohnehin in ganz Europa feststellbar ist.


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In Polen, Heimatland der 1980 gegründeten Arbeiterbewegung Solidarnosc ("Solidarität"), die maßgeblich an der Wende beteiligt war, werden sogar nur noch rund 16 Prozent der Arbeitnehmer von einer der drei Gewerkschaften vertreten. "Das ist neben Ungarn mit 17 Prozent einer der geringsten Werte in gesamt Mittel- und Osteuropa", erklärt der Politologe Hans-Wolfgang Platzer von der Universität Fulda, der momentan an einer Studie zu diesem Thema arbeitet.

In Polen wurde laut Experten die Regierungsbeteiligung von Solidarnosc in den Neunziger Jahren dem Bild der Gewerkschaften zum Verhängnis, da Solidarnosc für die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Wende verantwortlich gemacht wurde.

Doch auch in den anderen Ländern nimmt die gewerkschaftliche Bedeutung ab: "Durch die Privatisierung und Restrukturierung kam es zu einem ganz dramatischen Rückgang unterhalb des EU-Schnitts", erklärt Platzer. Nur Slowenien ist hier mit 44 Prozent Gewerkschaftszugehörigkeit ein Ausreißer, während in Tschechien zuletzt nur noch 22 Prozent aller Arbeitnehmer zu Gewerkschaftsmitgliedern zählten. "Deren Vertretung wird als schädlich empfunden für die notwendige neue Dynamik", meint Platzer. Das würden auch die ausländischen Investoren so sehen: "Deutsche Firmen halten sich nur an die Mindeststandards dieser Länder."

Kommunistische Speerspitzen im Betrieb

Probleme bereitet oft auch die Tradition des Gewerkschafters: In allen Ländern waren die Funktionäre Teil des kommunistischen Systems und waren dessen jeweilige Bastion in den Betrieben. "Die Gewerkschafter haben hier auch Arbeitgeber-Aufgaben übernommen: Sie waren mitverantwortlich für die Einhaltung der Jahrespläne", erzählt Manfred Wolf, international zuständiger Wirtschaftsbereichsekretär in der Handelssparte des Österreichischen Gewerkschaftsbunds: "Eine Mitgliedschaft war in den Staatsbetrieben quasi verpflichtend." Sobald die Staatsunternehmen verkauft sind, "brechen die alten Kernmitgliedschaften weg".

Daneben kommt es oft zu einer Konkurrenz der Gewerkschaften, die ein einheitliches Auftreten erschweren: Neben die eingesessenen, "die sich aus dem alten System hinübergerettet haben" , so Wolf, treten neue, westlich-orientierte: Diese verzeichneten immerhin einen schwachen Zuwachs , "aber es fehlt oft an Infrastruktur und finanziellen Möglichkeiten".

Dazu kommt ein anderes fundamentales Problem: Für sozialpartnerschaftlichen Dialog fehlt es den Gewerkschaften an einem Gegenüber: "Es gibt keine Arbeitgebervertretung", erklärt Platzer. Flächendeckende Tarife (in Polen und Tschechien werden 35 Prozent der Arbeitnehmer durch solche Kollektivverträge gesichert) scheinen unmöglich: betriebliche Lösungen und die Orientierung am jeweiligen Mindestlohn dominieren den Arbeitsalltag. Und gewerkschaftlich geeichte Ausländer helfen kaum: Früher waren westliche Unternehmen in Osteuropa gern gesehen, weil man dachte, die bringen Ordnung. Wir haben dann oft bei solchen intervenieren müssen, weil es denen auch wurscht ist, sobald sich niemand beschwert", erzählt Wolf.