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"Soll doch Luxemburg die Roma aufnehmen"

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

EU-Gipfel von Streit um Minderheit überschattet. | Paris wirft Reding eine "ungebührliche Entgleisung" vor. | Barroso gibt Rückendeckung, bedauert Wortwahl. | Brüssel/Paris. Die heftige Auseinandersetzung zwischen der EU-Kommission und Frankreich über dessen Umgang mit den Roma hat am Mittwoch erneut an Schärfe zugenommen. Auch das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs heute, Donnerstag, dürfte massiv davon überschattet werden. Aus dem Umfeld von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hieß es zwar, es handle sich rein um eine Angelegenheit zwischen der EU-Kommission und Frankreich und eigne sich daher nicht als Gipfelthema; vielmehr wolle man über die bessere Koordinierung der EU-Außenpolitik gegenüber strategischen Partnern diskutieren.


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Doch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat sich offenbar vorgenommen, auf vollen Konfrontationskurs mit der EU-Kommission zu gehen und das Thema auch beim EU-Gipfel hoch anzutragen. Schließlich hatte Justizkommissarin und Kommissionsvizepräsidenten Viviane Reding die Massenabschiebungen von Roma aus Frankreich als "Schande" bezeichnet, indirekt einen Vergleich mit der Nazizeit gezogen und Paris ein EU-Strafverfahren wegen Diskriminierung von EU-Bürger aufgrund ihrer ethnischen Wurzeln angedroht.

Der französische Europa-Staatssekretär Pierre Lellouche war das erste Regierungsmitglied, das nach Redings Auftritt Worte fand. Er sprach von einer "ungebührenden Entgleisung" der Kommissarin aus Luxemburg. So könne sie mit einem großen Staat wie Frankreich nicht umgehen. Sarkozy selbst soll die EU-Kritik bei einem Mittagessen mit Senatoren als "skandalös" und "völlig aus der Luft gegriffen" bezeichnet haben. Redings Heimatland Luxemburg solle doch die Roma aufnehmen, habe Sarkozy gemeint.

"Ein Missverständnis"

Entsprechend mitgenommen wirkte Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso bei einer gemeinsamen Pressebegegnung mit Österreichs Bundespräsidenten Heinz Fischer. Der sonst nicht für Kampfeslust mit großen Mitgliedsländern bekannte Portugiese las mit steinerner Miene sein Statement zum Roma-Thema vor: Er gebe seiner Vizepräsidentin Reding volle Rückendeckung. Es sei nicht nur das Recht, sondern die Pflicht der Kommission, Verstöße gegen EU-Recht zu ahnden. Das Verbot von Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft sei ein Grundwert der EU.

Aus der Kommission hieß es, Barroso habe die Angelegenheit lange - und vergeblich - informell mit Paris zu klären versucht. Entgegen französischen Beteuerungen gegenüber Brüssel hatte das Innenministerium die Losung ausgegeben, "vor allem gegen Roma" vorzugehen. Es gehe daher "um eine Frage der institutionellen Grundordnung in der EU".

Von Redings Wortwahl distanzierte sich Barroso jedoch: "Der eine oder andere Ausdruck könnte Anlass für ein Missverständnis sein", sagte Barroso. Sie habe keine Parallelen zu Ereignissen während des Zweiten Weltkriegs ziehen wollen.

Unterdessen will sich EU-Außenministerin Catherine Ashton erneut um eine einheitliches EU-Vertretung bei der UNO bemühen - allerdings erst nach dem Gipfel. Dass am Dienstag in New York nicht über einen entsprechenden Resolutionsentwurf abgestimmt wurde, sei "kein ernsthafter Rückschlag", sagte Ashton am Mittwoch in Brüssel. Bei der Generalversammlung wolle sie die Situation mit den skeptischen UNO-Mitgliedern klären.