Harald Bisanz, Chef der Wiener Rechtsanwaltskammer, bezieht im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" Stellung zu den jüngsten Gesetzesvorhaben, wendet sich gegen eine strikte Limitierung der Verfahrensdauer und erklärt, wo die Grenzen außergerichtlicher Konfliktregelung liegen.
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"Wiener Zeitung": Justizminister Dieter Böhmdorfer hat vor kurzem angeregt, dass innerhalb der Europäischen Union alle Zivilverfahren erster Instanz längstens ein Jahr dauern sollen. Was halten Sie von diesem Vorschlag?
Harald Bisanz: Für uns wichtig ist die Sicherheit, dass nichts einer gründlichen Lösung eines Rechtsfalles entgegen steht. Ich bin skeptisch, wenn Verfahren verkürzt werden sollen, indem pauschal maximale Verfahrensdauern festgelegt werden. Wir könne nicht alle Verfahren über einen Kamm scheren. Der Durchschnittsbürger führt - wenn überhaupt - einen einzigen Prozess in seinem Leben. Der Ausgang dieses Verfahrens ist entscheidend für sein Vertrauen in Justiz und Rechtsstaat. Kein Rechtsuchender würde es verstehen, wenn ausgerechnet seine Sache im Rekordtempo durchgezogen wird.
Immer mehr Bereiche verlassen die Sphäre der Gerichtsbarkeit und landen bei Schiedsgerichten und Konfliktreglern. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Was bedeutet das für die Anwälte?
Die Rechtsanwälte haben sich auf das System der alternativen Konfliktregelung voll eingestellt. Wir haben in allen Landeskammern eigene Schlichtungs- und Schiedsstellen eingerichtet. Im Ehe- und Wirtschaftsrecht spielt Mediation bereits jetzt eine ganz wesentliche Rolle. Erstmals wird es mit dem Zivilrechtsänderungsgesetz 2004 in Zusammenhang mit nachbarrechtlichen Streitigkeiten eine obligatorisch vorgeschaltete Schlichtungsstelle geben. Grundsätzlich ist dieser Trend hin zur alternativen Konfliktregelung, der ja auch von der EU so vorgezeichnet wird, positiv zu sehen. Aber er darf nicht so enden, dass der unabhängigen Gerichtsbarkeit allzu viel abgenommen wird.
Wo sind die Grenzen?
Überall dort, wo existenzielle Fragen berührt werden, ohne dass sich beide Teile auf eine außergerichtliche Entscheidungsstelle geeinigt hätten. Etwa bei einem schweren Verkehrsunfall mit gesundheitlichen Dauerfolgen oder die streitige Teilung eines Anwesens, wenn damit über den künftigen Lebensweg entschieden wird. Auch sollte über das, was gemeinhin als klassische staatliche Aufgabe bezeichnet wird, nicht eine verpflichtende Schlichtungsstelle entscheiden.
Sie haben in einem-Interview vergangenen Februar bezugnehmend auf die Ambulanzgebühr "Schnellschüsse in der Gesetzgebung" kritisiert. Wie beurteilen Sie die Qualität der Gesetzgebung heute?
Seit Jahren bemängeln wir die Gesetzesflut. Es ist unglaublich, in welchem Ausmaß in den Alltag der Bürger eingegriffen wird. Wir wissen allerdings, dass uns viele dieser Reglementierungen heute von der EU aufgetragen werden. Was wir in erster Linie kritisieren, ist, dass die Stellungnahmen von Interessensvertretern im Gesetzesbegutachtungsverfahren nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Ist das eine Spezialität dieser Legislaturperiode, oder war das immer schon so?
Es ist kein absolut neuer Trend. Neu ist, dass die Begutachtungsfristen jetzt oft viel kürzer sind als früher. Oft so kurz, dass es schon rein technisch unmöglich wird, sich mit den durchdachten wissenschaftlichen Stellungnahmen zu befassen.
Die - seit erstem Juli in Kraft stehende - Urheberrechtsnovelle wurde im Vorfeld von unterschiedlicher Seite kritisiert. Ihre Meinung dazu?
Ich denke, mit der Urheberrechts-Novelle wurde ein zeitgemäßes Gesetz geschaffen. Der Bürger muss allerdings v. a. bei der Nutzung des Internets verstärkt aufpassen: Hier gibt es einige wesentliche Neuerungen, die nicht nur Unternehmen sondern auch Private betreffen. Wer etwa leichtfertig Inhalte auf seine private Homepage stellt, kann sich schnell eine unangenehme Unterlassungsklage und Schadenersatzforderungen einhandeln. Wir raten, sich in diesem sensiblen Bereich sehr genau informieren zu lassen.
Das Außerstreitverfahren wird reformiert. Sind Sie mit den Reformvorschlägen in der jetzigen Form zufrieden?
Die Reform des Außerstreitverfahrens ist ein großes Gesetzesvorhaben mit vielen positiven Aspekten. Für problematisch und mit Art. 6 der MRK (faires Verfahren. Anm.) unvereinbar halten wir, dass das Prinzip der Mündlichkeit in Verlassenschaftssachen nicht unumschränkt verwirklicht wurde.
Das Gespräch führte Matthias G. Bernold