Man würde es ja nicht vermuten, aber auch in der Politik sind Menschen aus Fleisch und Blut am Werk. Höchste Zeit, dass das wieder einmal inszeniert wird. In großen Sommer-Interviews.
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In früheren Zeiten setzten die Mächtigen alles daran, sich von der Masse ihrer Untertanen abzuheben. Radikale Verfechter trieben dieses Konzept auf die Spitze, indem sich das gemeine Volk nur auf Knien und mit gesenkten Blicken dem Herrscher nähern durfte. Und direkte Fragen an das weltliche Oberhaupt waren selbstverständlich ein Ding der Unmöglichkeit.
Wie sich die Zeiten ändern: Heute halten sich nicht mehr Könige und Fürsten ein Volk, sondern Bürger wählen sich ihre Politiker selbst - obwohl sie hinterher nicht immer daran erinnert werden wollen.
Nun hat der leidige Umstand, dass fast alles ziemlich kompliziert ist, zu einer gewissen Entfremdung zwischen den Wenigen ganz oben und den Vielen etwas weiter unten geführt. Nicht wenige Bürger halten die Sache mit der Komplexität der Wirklichkeit nämlich für nichts anderes als eine geschickte Ausrede, damit die Politiker nicht das tun müssen, was eine Mehrheit von ihnen einfordert.
Solch unberechtigtes Misstrauen kränkt natürlich tief. Kein Wunder, dass sich das Gros demokratisch gewählter Politiker krass missverstanden fühlt. Dabei wollen sie doch nichts sehnlicher als Schaf unter ihren Schäflein sein.
Der Sommer ist die beste Zeit, diese Kluft zu überbrücken - und das große Sommer-Interview das Mittel zu diesem Zweck. Denn nirgendwo sonst könnten unsere Politiker besser zeigen, dass sie auch noch etwas anderes als grauen Zwirn im Kleiderschrank haben. Beim großen Sommer-Interview darf, ja muss man zum Menschen unter Menschen werden. Und Fragen, die vorgeben, tief unter die ansonsten aalglatte Oberfläche zu dringen, sind konstituierender Bestandteil dieser Inszenierungen.
Fragt sich nur, wer tatsächlich glaubt, den Bürgern diese gespielte Authentizität als Bären aufbinden zu können?
Die Journalisten, die am Genre Sommergespräch mit österreichischen Politikern scheiterten, sind Legion. Der Journalist will den Politiker wegführen von seinen alltäglichen Botschaften und diese als opportunistische Strategie entlarven. Der Politiker will genau seine alltäglichen Botschaften mit einer Aura der Menschlichkeit verbrämen. Das kann niemals gutgehen.
Um den müden Zwiegesprächen doch noch etwas Leben einzuhauchen, verfallen die Medien immer öfter auf die Idee, das ursprüngliche Vier-Augen- zum Sechs-Augen-Gespräch aufzublähen. Beim ORF machten etwa Print-Journalisten den Anfang, im vergangenen Jahr folgten "kritische Intellektuelle" à la Harald Krassnitzer und Erika Pluhar; heuer sollen angeblich Kapazunder aus der Wirtschaft Leben in die müden Palaver bringen.
Mit einem Erfolg ist eher nicht zu rechnen.