Dramatische Einbußen, Besiedelung nimmt den Faltern den Lebensraum. | Düngemittel verändern Pflanzen und damit die Nahrungsgrundlage. | "Und das ist wohl das Schmetterlingsgehege!", scherzte mein Studienkollege Klaus, als wir eines Sommers gemeinsam an einer leeren Wiese im Salzburger Tiergarten Hellbrunn vorbeispazierten. Über der Wiese tummelten sich, kunterbunt wie bewegte Blüten, alle Arten von Faltern. Wir blieben stehen. Das kaleidoskopische Schauspiel war so faszinierend, dass es den eleganten Leoparden ein paar Acker weiter ernsthafte Konkurrenz machte. Das war vor rund 15 Jahren.
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Sollte das Wiesenstück auch diesen Sommer noch blumenübersät sein, würde sich über ihm auch heute noch ein solches Naturschauspiel bieten? Jedenfalls gehen zur Zahl der Schmetterlinge die Wahrnehmungen auseinander. Während die einen behaupten, in ihrem Garten würde das hüpfende Falter-Treiben immer belebter, schränken die anderen ein, dass die Schmetterlinge nicht mehr so verschiedenartig sind wie früher. Für andere wiederum gehören Wiesen mit tanzenden Zitronenfaltern, Bläulingen, Kohlweislingen oder Tagpfauenaugen zu den sonnigen Erinnerungen aus der Kindheit. Und genau sie haben recht.
Tatsächlich gibt es weniger Schmetterlinge. Und zwar nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land. "Schmetterlinge sind Indikatoren für Umweltveränderungen, weil sie diese sehr stark spüren", erklärt Andrea Grill vom Department für Biodiversität der Universität Wien.
"Bei den bunten Tagfaltern sehen wir bei mehr als der Hälfte der Arten Rückgänge im Bestand, und die Einbußen sind zum Teil dramatisch", bestätigt Konrad Fiedler, Professor für Populationsökologie an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Uni Wien. "Der gemeine Bläuling (seine Flügel sind kobaltblau mit hellen Rändern) zum Beispiel lebte früher auf jedem Ackerstreifen. Heute finden wir ihn in besiedelten Gebieten kaum. Wenn wir Proben nehmen, sind wir sogar froh, wenn wir überhaupt ein Exemplar finden."
Besonders seit der Nachkriegszeit büßen die Tagfalter Lebensraum ein. Schuld ist in erster Linie der Mensch. Bei steigendem Wohlstand erobert er die Natur, die er bebaut, bepflanzt und flurbereinigt.
Grünflächen-Nutzung bringt Lebenszyklus durcheinander
Früher ließen die Bauern ihre Blumenwiesen, in denen ganze Insektenwelten lebten, über den Sommer wachsen. Gemäht wurde im Herbst, das Heu wurde im Stadel gelagert und im Winter den Tieren verfüttert. Heute gebietet der menschliche Wunsch nach Ernährungssicherheit eine weitaus intensivere Grünflächen-Nutzung. Die Wiesen werden gleich drei bis vier Mal im Jahr oder sogar alle vier Wochen gemäht. Schmetterlingsraupen, die auf den Halmen sitzen, werden dabei gehäckselt. Das Gras wird geerntet, in Silos verfrachtet und dort mit Milchsäure als Silage vergoren.
Silage gilt als hochwertiges Futtermittel für Nutztiere, vor allem für Wiederkäuer. In der Landwirtschaft ist es weitaus ertragreicher als Heu. Auch nachwachsende Rohstoffe, die als Energiequelle in Biogasanlagen dienen, werden durch Silierung haltbar gemacht. Den Lebenszyklus der Schmetterlinge bringt diese Form der Futtergewinnung allerdings gehörig durcheinander. "Diese wechselwarmen Arten brauchen im Sommer sechs Wochen oder mehr, um sich zu entwickeln. Manche von ihnen schlüpfen sogar erst im Herbst", erklärt Fiedler: "Ein Zitronenfalter kommt da nicht mit."
Anderen Faltern wiederum bereiten Düngemittel Probleme. Dem Menschen garantieren diese ein ausreichendes Angebot an Gemüse, indem sie schnelleres Wachstum ermöglichen. Doch Dünger ermutigt eher anspruchsvollere Pflanzen zu Wachstum. Die kargen, genügsamen Gewächse, von denen sich viele Schmetterlingsarten ernähren, richtet er hingegen zu Grunde. "Durch den Dünger entstehen sehr schöne Wiesen. Aber es sind andere Arten von Wiesen, als Schmetterlinge sie brauchen. Der Dünger verändert die Vegetation so, dass die Tiere in weiterer Folge keine Lebensbedingungen mehr finden. Der Bauer will mehr Biomasse ernten, weswegen er düngt. Gleichzeitig verkleinert er damit die Biovielfalt", sagt Andrea Grill. Landwirtschaftliche Dünger enthalten Nitrate, die vielen Pflanzen als Nährstoffe dienen. Sie können von pflanzlichen Organismen als Stickstoffquelle aufgenommen und verwertet werden. Für manche Käfer, Raupen oder Falter sind Nitrat-haltige Blüten jedoch giftig.
Doch was wäre, wenn wir dem wilden Wachstum der Natur freien Lauf lassen würden? Wären wir dann nicht nur im Schmetterlingsgehege, sondern gleich im Schmetterlingsland? Wohl nur für eine begrenzte Zeit. Denn Schmetterlinge leben nur unter bestimmten Bedingungen auf.
Selbst in den Bergen werden heimische Arten verdrängt
Würden Förster und Bauern die Natur nicht im Zaum halten, wäre Mitteleuropa bewaldet. Waldfreie Flächen etwa in Ostösterreich sind von Menschenhand geschaffen. Zuerst muss ein Stück Wald abgeholzt werden, damit eine Lichtung entsteht, auf der eine Wiese wächst. Erst dann siedeln sich Schmetterlinge an. Alsbald trägt der Wind Samen von Birken und Pappeln zu. Die Bäume wachsen so lange, bis ein Wald daraus wird, der die Lichtung wieder schließt und die Schmetterlinge in sonnigere Gefilde umziehen.
Überhaupt sind Schmetterlinge Übersiedelungskünstler. Auch die Auswirkungen des Klimawandels veranlassen sie dazu, ihren Lebensraum zu verlagern. "Durch steigende Temperaturen verschieben sich die Verbreitungsgebiete, wodurch selbst in den Bergen Arten verdrängt werden", sagt Fiedler. Eine neue Art sei etwa der Östliche Steppengelbling, der sich vom Zitronenfalter durch dunkel umrandete Flügel unterscheidet. Er wurde erstmals in Österreich im Jahr 1990 entdeckt. In Großbritannien hingegen hätten gewisse Arten innerhalb von 50 Jahren eine Reise von rund 800 Kilometern von Südengland ins nördliche Schottland geschafft.
Doch der Biologe macht auch Mut. Es gebe Arten, deren Bestände konstant bleiben. Verraten sei auch ein Geheimnis: Schmetterlinge können weiter fliegen, selbst wenn man die farbigen Schuppen auf ihren Flügeln versehentlich einmal berührt.
Zitronenfalter & Schmetterlingsstrauch
Die meisten Raupen sind an spezifische Pflanzen als Nahrung gebunden. Werden diese zunichte gemacht, schlüpfen keine Schmetterlinge. Bestimmte Schmetterlingssträucher locken allerdings die Falter an, wie etwa der Sommerflieder (Buddleja), Sonnenhüte (Echinacea) oder bestimmte Zistosengewächse.
Der Zitronenfalter lebt bevorzugt vom Faulbaum, der feuchte Wälder benötigt, jedoch zugleich an einem sonnigen Platz stehen muss, damit die Raupen ihn mögen. Die Bevölkerung der Zitronenfalter schwankt. Einerseits haben sie mehrere Nahrungspflanzen, andererseits ist ihr Lebenszyklus mit bis zu elf Monaten sehr lang, wird also durch die intensive Nutzung der Landwirtschaft oftmals abgebrochen. Der Schmetterling schlüpft im Juni, fliegt und geht später in den Sommerschlaf bis Herbst. Erst nach dem Winterschlaf legt er Eier. Der Zitronenfalter stammt von einer Mittelmeer-Art, die die Sommertrockenheit überleben musste. Bei seiner Wanderung gegen Norden hat er sein stammesgeschichtliches Erbe mitgenommen. Foto: Wiki Commons
Falter halten Sommerschlaf
Viele Insekten überdauern die Wintermonate in Kältestarre. Viele Schmetterlinge hingegen verschlafen den Hochsommer: Wenn es zu heiß wird, verschwinden die Tagfalter wie von Zauberhand und tauchen erst wieder im regnerischen Herbst zum Eierablegen auf.
Wie diese Sommerruhe (Diapause) gesteuert wird, ist eine der Fragen, die die Biologin Andrea Grill von der Uni Wien stellt. Sie hat sich der Erforschung des Sardischen Ochsenaugen verschrieben. Seine Schwesterart, das Große Ochsenauge, ist eine der am weitesten verbreiteten Falterarten Europas. Im Juni kann man die rotbraunen Schmetterlinge auch auf österreichischen Blumenwiesen beobachten. Grill hat talentierte Überlebenskünstler ausgemacht: Die Sardische Inselart und die großen Ochsenaugen paaren sich untereinander, wodurch eine neue Gruppe entsteht.