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"Sonne, Luft und Haus für alle"

Von Thomas Karny

Wissen

Plattenbauten aus rostbeständigem Kupfer sollten in den 1930er Jahren dringend benötigten Wohnraum schaffen. Doch das ambitionierte Projekt scheiterte bald an der wirtschaftlichen und politischen Realität.


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Binnen 24 Stunden, war im Verkaufsprospekt zu lesen, würde das neue Eigenheim errichtet und zum Bezug bereit sein. Und als wäre das nicht schon außergewöhnlich genug, versetzte einen die prognostizierte Lebensdauer in ungläubiges Erstaunen: 750 Jahre! Eine Investition für die Ewigkeit.

Was die Werbung aus dem Jahre 1931 vollmundig versprach, zählte zu den spektakulärsten Eigenheimexperimenten des 20. Jahrhunderts: das Kupferhaus. Fertigwände, deren Holzrahmen außen mit Kupfer- und innen mit Weißblech beschichtet waren, konnten gewissermaßen über Nacht zu schmucken Häusern montiert werden. Das 50 Quadratmeter große Basismodell "Maienmorgen" war als Wohngrundversorgung für einkommensschwache Jungvermählte gedacht.

Der villenartige "Kupferstolz", der auf zwei Etagen 170 Quadratmeter Wohnfläche und eine großzügige Terrasse bot, hatte betuchte Klientel vom gehobenen Bürgertum aufwärts im Auge. Dazwischen fächerte sich das Sortiment in Haustypen unterschiedlichen Stils und unterschiedlicher Größe auf. Sie trugen blumige Namen wie "Frühlingstraum", "Sonnenschein", "Lebensquell", "Eigenscholle" oder "Kupfercastell".

Überproduktionskrise

Produzent dieser Häuser waren die Hirsch Kupfer- und Messingwerke (HKM) im brandenburgischen Eberswalde. Aus einem kleinen Altmetallhandel hatte sich das Unternehmen binnen eines Jahrhunderts zur größten Buntmetallfabrik Europas entwickelt. Wesentlich zum Wachstum beigetragen hatte die Rüstungsproduktion während des Ersten Weltkriegs, als sich die HKM mit den Elektrounternehmen AEG und Siemens-Schuckert sowie den Metallkonzernen Beer, Sondheimer &Co. und der Metallgesellschaft Frankfurt zur Kriegsmetall AG zusammenschlossen.

Man produzierte Messingrohre für Kriegsschiffe der Reichsmarine und Messingnäpfchen für die Munition des preußischen Heeres. Die HKM fuhren die Produk-tion von monatlich 455 Tonnen im Jahre 1907 auf 1835 Tonnen zu Kriegsende hoch. Im selben Zeitraum hatte sich der Belegschaftsstand auf 2400 Arbeiter - darunter 1000 französische Kriegsgefangene - mehr als verdoppelt. Auf ihrem wirtschaftlichen Höhepunkt vereinigten die HKM rund 40 Unternehmen unter ihrem Dach. Seniorchef Aron Hirsch vertrat als Vorstandsmitglied des Zentralverbandes der Walz- und Hüttenindustrie die Interessen von Europas größten Messingproduzenten. Als Vorstandsmitglied der Berliner Börse und der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft sowie als Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank reichte sein Einfluss weit über den Handel mit Metallen hinaus.

Doch so wie die gesamte deutsche Industrie hatten auch die HKM nach dem Krieg mit der Überproduktionskrise zu kämpfen. Während Aron Hirsch alles unternahm, um das Kerngeschäft zum Preis von beträchtlichen Anteilsverkäufen an britische und belgische Konkurrenzunternehmen aufrecht zu erhalten, schmiedete die zweite Generation Alternativpläne. Sein Sohn Siegmund hatte bereits im letzten Kriegsjahr eine Volksküche für die Hunger leidende Arbeiterschaft eingerichtet und brachliegende Flächen neben der Fabrik in Finow landwirtschaftlich genutzt. Dort, so berichtete eine Zeitung, legten die Hühner die Eier "am Band", und das Gemüse konnte dank beheizter und künstlich belichteter Frühbeete bereits im Dezember geerntet werden. Zwanzig Kraftwagen brachten nach fixen Fahrplänen frische Lebensmittel an Berliner Kleinhändler und Endverbraucher. 1931 wurde die Finow Farm GmbH an die Schweizer Migros AG verkauft.

Schnelle Montage

1929 hatte Siegmund Hirschs Schwager, René Schwartz, mit der Umsetzung eines ambitionierten Wohnprojekts begonnen. Die firmeneigenen Walzwerke waren nicht ausgelastet und der Rohstoff Kupfer so billig, dass es sich rechnen sollte, daraus Häuser herzustellen. Dafür engagierte er neben dem Architekten Robert Krafft den Ingenieur Friedrich Förster, der über ein Patent für beidseitig mit Metall versehene portable Wandelemente verfügte. Ein Jahr später wurde die Kupferhaus-Bauweise offiziell für den Wohnungsbau zugelassen.

Das rostbeständige Kupfer, die schnelle Montage, die durch ein spezielles System luftdichter Kammern erzielte, hervorragende Dämmung und erschwingliche Preise sollten das Kupferhaus zu einem Kassenschlager machen. Darüber hinaus lag man politisch im Trend, hatte doch Reichskanzler Heinrich Brüning den Bau von Eigenheimen forciert, um die Sparguthaben der Mittelschicht in die Wirtschaft zu pumpen und durch Gartenanbau die Selbstversorgung zu fördern.

1931 stellte man in Eberswalde-Messingwerk, wo die HKM während des Ersten Weltkrieges eine Arbeitersiedlung errichtet hatten, sechs Musterhäuser auf. Die Häuser orientierten sich mit ihrem Landhaus- und Villenstil am konventionellen Geschmack. Für die Innengestaltung konnte der Kunde zwischen fünf Dekors wählen, die als Relief in das Blech geprägt wurden: Von der neutralen Kachelstruktur bis zum englischen Blumenmuster. Farblich hatte er sogar neun Optionen zur Auswahl: von Beige Rosé über Resedagrün bis Bergblau und Korallenrot.

Auf der Internationalen Kolo-nialausstellung 1931 in Paris präsentierten die HKM ihr Kupferhaus erstmals der Weltöffentlichkeit. Das ausgestellte "Kupfercastell" wurde ein voller Erfolg und gewann einen Grand Prix. Im eigenen Land jedoch, auf der Deutschen Bauausstellung in Berlin desselben Jahres, wehte den HKM ein rauer Wind entgegen. Die Fachwelt lobte zwar die moderne Fertigung, kritisierte dafür umso mehr die biedere Gestaltung der Häuser. Trotzdem gingen noch während der Ausstellung die ersten Bestellungen ein. Sie kamen vor allem aus der Mittelschicht, die die größeren Hausvarianten orderten.

Großes Interesse erregte die Fertigteilkonzeption der Kupferhäuser bei einem der prominentesten Architekten des Landes, dem Bauhaus-Gründer Walter Gropius. Er erkannte schnell, dass hier nicht nur technische Innovation, sondern mit den HKM auch wirtschaftliche Potenz vorhanden war, mit der sich die Entwicklung von Fertigteilhäusern im großen Stil realisieren ließe. Zwischen 1926 und 1928 hatte er in Dessau-Törten Hunderte Häuser gewissermaßen im Fließbandverfahren hochgezogen, eine ähnliche industrielle Errichtung von Häusern schwebte ihm auch jetzt vor.

Gropius nahm Kontakt zu Hirsch auf und avancierte schnell zum Kopf der Kupferhausabteilung. Er setzte zahlreiche Verbesserungen um und engagierte sich in der Vermarktung der Kupferhäuser. An die Verkaufsabteilung der HKM meldete er viel versprechende Absichtserklärungen: Die UdSSR wolle 50 solcher Häuser aufstellen, mit Firmen in den USA, dem Kongo und Argentinien wurde ein gemeinsamer Vertrieb erwogen. Auch in Deutschland herrschte reges Interesse, sogar mehrere Siedlungsprojekte wurden angedacht.

"Wachsende Häuser"

Der Zeitgeist schien dem Kupferhaus Recht zu geben. "Sonne, Luft und Haus für alle" lautete das Motto der Berliner Sommerschau 1932, auf der Baustadtrat Martin Wagner die Konzeption des "wachsenden Hauses" nach dem Baukastenprinzip propagierte. Einerseits sollte damit der wirtschaftlichen Situation wohnungsbedürftiger Bürger Rechnung getragen, andererseits dem nomadischen Element der "stets unfertigen, stets werdenden und sich immer weiterbildenden Zeit" entsprochen werden.

In Wagners Vision war das Haus nicht nur beliebig erweiterbar, sondern auch binnen kürzester Zeit montier- und demontierbar. Gropius nutzte die Ausstellung, um das von ihm entworfene "wachsende" Kupferhaus vorzustellen. Im Gegensatz zum Vorjahr war die Presse nun begeistert vom schlichten Design, der modernen Linienführung und dem raffinierten Lichtspiel der in der Basis- und Maximalvariante ausgestellten Modelle.

Doch das Projekt hatte keine Chance auf Umsetzung. 1932 schlitterten die HKM, die seit 1929 wirtschaftlich angeschlagen waren und 1931 infolge der Berliner Bankenkrise keine neuen Kredite mehr bekamen, in die Pleite. Die HKM gingen in den Besitz von AEG über und wurden später in Finow Kupfer- und Messingwerke umbenannt.

René Schwartz jedoch glaubte nach wie vor an den Erfolg seiner Häuser und gründete im Herbst 1932 die Deutsche Kupferhausgesellschaft (DKH). Von Gropius und seinen architektonischen Experimenten hatte er sich verabschiedet, gemeinsam mit Förster und Krafft suchte er pragmatische Lösungen. Die Zeitläufte erzwangen jedoch bald eine völlige Neuausrichtung der Geschäfte.

Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 verließen Juden massenhaft Deutschland - 6000 allein zwischen März und September jenes Jahres. Die jüdische Familie Hirsch unterstützte seit vielen Jahren die zionistische Idee vom Zusammenleben der Juden im Gelobten Land. Nun warb die DKH für ihre transportablen Häuser, denn in Eretz Israel herrschte Wohnungsnot. Eigene Modelle wie etwa der 70 Quadratmeter große Bungalow "Haifa" wurden entwickelt. Der Preis von 7000 Mark entsprach etwa dem siebenfachen Jahresgehalt eines Arbeiters. Viermal so groß war "Libanon" und um knapp 20.000 Mark zu haben. Die Häuser mit dem kühlen Raumklima schienen für das heiße Palästina geradezu prädestiniert, und sie wurden - im Gegensatz zu Bargeld - als Siedelgut anerkannt.

Dennoch kam der Verkauf der Häuser nicht in Schwung. Das hing einerseits mit unklaren Baugenehmigungen in Palästina zusammen, andererseits mit deutlich höheren Aufstellungskosten und -zeiten als prognostiziert. Dazu kam eine unzuverlässige Verschiffung, bei der zahlreiche Hausteile verloren gingen. Schließlich riet die Jewish Agency vom Kauf der Kupferhäuser ab. Nicht einmal zwanzig hatten den Weg nach Palästina gefunden. Die 1934 erlassene "Verordnung über unedle Metalle", mit der die Verwendung von Kupfer für den Hausbau verboten wurde, bedeutete das Ende für die DKH. Bis dahin waren in Deutschland 43 Kupferhäuser verkauft worden.

Bewohnte Siedlung

Mit den geänderten Machtverhältnissen in Deutschland war nun auch die Familie Hirsch an Leib und Leben bedroht. Siegmund Hirsch exilierte 1933 und wurde erfolgreicher Unternehmer in Ägypten, den USA und der Schweiz. Seine Eltern Aron und Mally Hirsch jedoch waren in Deutschland geblieben und fielen 1942 der rassischen NS-Verfolgung zum Opfer. Von Kupferhaus-Gründer René Schwartz und seiner Frau Dodo verliert sich die Spur 1936. Geblieben ist die Musterhaussiedlung in Eberswalde-Messingwerk. Sie ist bis zum heutigen Tage bewohnt.

Thomas Karny, geboren 1964, ist Sozialpädagoge, Autor und Journalist. Mehrere Buchveröffentlichungen zur Zeit- und Motorsportgeschichte. Lebt in Graz.

Literatur: Friedrich von Borries,
Jens-Uwe Fischer; Heimatcontainer - Deutsche Fertighäuser in Israel.
edition suhrkamp, Frankfurt/Main 2009.