Die indonesischen Gili-Inseln östlich von Bali kämpfen mit Massentourismus, Abfall - und ums Überleben.
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Türkis schimmerndes Wasser in der Morgensonne von Gili T. Feinkörniger Sand, vor der imposanten Kulisse des Vulkanriesen Gunung Rinjani auf der Insel Lombok nebenan. Ein schäbiger Fracht-Katamaran gleitet heran und legt neben den schaukelnden Tourbooten an, die sich erst nach dem Frühstücksbuffet füllen werden. Verschleierte Arbeiterinnen waten ans Ufer und balancieren schwere Bierkistenboxen und Klopapiersäcke auf den Köpfen, die dann mit Pferdekarren über die Insel verteilt werden. Zurück geht es mit klobigen Müllsäcken, lange bevor die meisten Urlauber erwachen und ihre tropische Inselidylle gefährdet sehen könnten: Alles muss geliefert werden. Doch das wenigste wird fachgerecht entsorgt. Und bleibt.
Der winzige Archipel der Gili-Inseln liegt in der Straße von Lombok, nordwestlich der gleichnamigen Insel. Auch Bali, der hinduistische Tourismusmagnet seit kolonialen Zeiten, ist gerade 100 Fahrminuten im Schnellboot entfernt. Vor 80 Jahren noch unbesiedelt, wurde die indonesische Inselgruppe in den 1940ern von Japan besetzt, mit ein paar Bunkern und Kanonen bestückt und dann zu einem Kriegsgefangenenlager.
Landbesitzfragen
Dauerhafte Besiedlung gab es erst seit den 1970ern, als der Gouverneur von Lombok Kokosplantagen anlegen und von heimischen Sträflingen betreuen ließ, die sich nach ihrer Haft bisweilen niederließen und etwas Geld mit ein paar Aussteigern aus Bali machten. Viele Landbesitzfragen sind bis heute umstritten, da auch zahlreiche nomadische Fischer auf den Inseln ihre traditionellen Stützpunkte hatten. Der erste Homestay (mit ein wenig Brunnenwasser und viel Banana Pancake) wurde jedenfalls 1982 eröffnet und hieß Pak Majid wie sein Besitzer ("höflicher Herr Majid"). Daraus wurde das hippe Pesona Resort & Spa. Und dabei ist es nicht geblieben.
Heute landen täglich bis zu 4.000 Besucher auf den drei Inseln, die in Sichtweite zueinander liegen und die mitsammen nicht einmal 15 Quadratkilometer groß sind. Etwa ebenso viele Einwohner leben auf Gili Air, Gili Meno und Gili T, das eigentlich Trawangan heißt. Es gibt keine Autos oder Roller, bloß Fahrräder und Cidomos, wie die Pferdekarren hier heißen. Trinkwasser kommt seit einigen Jahren mit Unterwasser-Pipelines aus Lombok, wie auch Stromleitungen. Eine Inselumrundung im Sand ist in wenigen Stunden zu Fuß machbar.
Doch die Entwicklung ging zu rasch und stellte ein ernsthaftes Problem für die Umwelt dar, wie Mark und Joana Hampton in ihrer Studie "Is the beach party over?" feststellten, in der Tourismus als "die beste aller schlechten Optionen" tituliert wurde.
Das war 2009. Und damals war eigentlich nicht wirklich viel los. Da schliefen viele Backpacker noch am Strand, weil es nicht ausreichend Unterkünfte gab. Ende April 2021 listet die Buchungsplattform booking.com 167 Unterkünfte auf Gili T, dem touristischen Hotspot auf, etwa so viel wie auf den beiden anderen Inseln zusammen. Die Bungalows sind niedlich, dürfen nicht höher als Palmen sein und drängen sich vor allem entlang des Strandbereiches. Dort reihen sich Tauchschulen und Bars, es gibt Magic Mushrooms und andere Urlaubsfreuden der besonderen Art; in der Hauptsaison hämmert nächtelang der Bass der Nachtlokale. Ein Schuss Crystal Meth um drei Euro ist nicht ausgeschlossen: Polizisten gibt es auf den Gilis nicht, während in Rest-Indonesien auf Drogenkonsum die Todesstrafe steht.
Der Widerstand der muslimischen Einheimischen hält sich offiziell in Grenzen, auch wenn brandneue Moscheen auf den Inseln entstehen und die Muezzins vielleicht eine Spur lauter rufen als sonst, wenn das Morgengrauen endet und die Sonne glutrot über den Horizont steigt. Es ist ruhig, für ein paar Stunden. Die ersten Schnellboote aus Bali fassen 250 Personen und kommen um 9.45 Uhr. Und dann endet die kurze Idylle unter Palmen.
Von 2009 bis 2019 ist die Zahl der Touristen von 39.000 auf rund eine Million jährlich angestiegen. Das Hippie-Image der autofreien Inseln ist längst Vergangenheit, der Backpacker-Traum zum Albtraum geworden. Die aktuelle Party-Blogger-Szene inszeniert sich meist weiterhin auf Schaukeln im seichten Meer, den Love-Swings. Oder schlürft Cocktails auf bunten Sitzpölsterchen im Sand, vor blutroten Sunsets über Bali, das in Sichtweite ist. Social Media behalten keine Geheimtipps für sich, und dem Taucher-Paradies unter Kokospalmen bleibt zunehmend der Sauerstoff zum Überleben weg - nicht nur der Umwelt, sondern auch der Gesellschaft.
Viele Einheimische, durchwegs Muslime und oft ehemalige Fischer, sehen den Party-Tourismus als Weg aus der Armut - mit Kompromissen, die schwerfallen: "Der Tourismus bringt Wohlstand auf unsere Inseln", sagt Lokalgouverneur Hidayat Taufiq, "aber wir müssen achten, dass unsere Kultur nicht untergeht. All diese Bikinis und der Alkohol. Wir sind ja Muslime. Wir müssen aufpassen, dass es da noch ein Gleichgewicht gibt." Auch seine Familie arbeitet im Gastgewerbe, wie 80 Prozent der Bevölkerung, denen die Covid-Pandemie ihr Einkommen genommen hat. Über 150 Restaurants standen plötzlich leer und füllen sich erst allmählich wieder.
Müllsammeltage
Ins Inselinnere von Gili T führen viele Pfade. Doch das Flanieren ist unerfreulich, denn wenige hundert Meter küsteneinwärts der Fun-Meile endet das tropische Urlaubsparadies so rasch wie unvermittelt. Die Kutschen transportieren nur mehr rostige Fässer, Plastikfetzen und Essensreste. Die Pferde sind struppig und verschmutzt, die Anhänger rostig, die Farben ausgebleicht. Der Palmenhain ist voll mit dampfenden, meterhohen Müllbergen, auf denen Kühe und Hunde nach essbaren Resten wühlen: Bis zu 15 Tonnen kommen täglich dazu.
Eine funktionierende Müllabfuhr existiert bis heute nicht, ohne Eigeninitiative geht wenig: Freitag ist Müllsammeltag an den Straßen und Stränden, viele Einheimische packen selbst mit an, und Touristen bekommen Freibier am Abend. 7.000 Kilo kommen so jährlich zusammen, allein durch die Freitagssammlungen. "Der Müll wird sortiert und gepresst und nach Lombok oder Bali gebracht. Viele Leute hier wissen gar nicht, dass man mit Plastiksammeln sogar Geld verdienen kann. Nicht viel, aber immerhin. Das Geld liegt sozusagen auf der Straße", sagt die Französin Delphine Robbe, mittlerweile Leiterin der Umweltorganisation Gili Eco Trust, die bereits 2002 zum Schutz der Riffe gegründet wurde. Sie forciert neue Mechanismen der Problembewältigung: Die indonesische Mentalität, "heute zu leben, egal was in zwanzig Jahren passiert", macht die Sache nicht einfacher, wie sie betont.
So mobilisiert sie Freiwillige für Umweltprojekte, nachdem ihr Ruf nach einer Öko-Polizei ungehört verhallt ist: Von Müllsammeln über Umweltkurse in Schulen bis zu Auffüllstationen für Wasserflaschen, um Plastikmüll zu kanalisieren. Seit 2017 läuft ein Müll-Management-System in einer lokalen Sammelstelle, das alle 14 Tage bis zu 15 Tonnen Müll zum Recycling nach Lombok bringt. Auch andere lokale Unternehmer springen auf den Öko-Zug auf und mobilisieren ihre Stammgäste, "Trash Heroes" oder "Gili Warriors" zu werden. Fun in the dirt, mit Event-Flair und viel Gratisalkohol für alle. Greenwashing für ein gutes Gewissen, einmal anders. "Schmuck aus Müll machen, das finde ich cool", sagt Sarah, die tagsüber Tauchen und abends Yoga unterrichtet und zwischendurch Strohhüte mit Alusternen aus leeren Cola-Dosen dekoriert.
Alle Inseln sind von einem Riffsystem umgeben, ein Traum für Schnorchler und Taucher - für die in Schwimmdistanz in wenigen Metern Tiefe Mopeds und Statuen am Meeresgrund befestigt wurden, um Unterwasseraufnahmen zu erleichtern.
Doch den Riffen geht es übel. Rund 40 Prozent der Fläche, viermal so viel wie die Inselfläche selbst, ist mittlerweile abgestorben. Hohe Wassertemperaturen in El-Niño-Jahren verursachen zusätzlichen Stress für die Riffe, die durch Abwässer und wenig nachhaltige Fischereimethoden vorgeschädigt sind. Zumindest das Fischen mit Dynamit und Cyanid ist seit 20 Jahren verboten, doch viele Schnorchler staksen bei Ebbe immer noch gnadenlos über die Riffe, die dann oft zu Fuß erreichbar sind. Gebleichte Korallen liegen wie Skelettteile an den Stränden.
Biorock-Technologie
Dabei sind intakte Riffe entscheidende natürliche Schutzwälle gegen den Anstieg des Meeresspiegels, der hier - laut Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel - jährlich um 15 Millimeter steigt. Gili Eco Trust versucht, mit Biorock-Technologie die abgestorbenen Teile des Riffes zu regenerieren: Dazu werden große Metallgitter-Konstruktionen im Riff verankert, wo mit Hilfe leichter Gleichstromimpulse gebleichte Riffteile stimuliert werden, um Elektrolyse in Gang zu setzen. Dadurch sollen sich Mineralien aus dem Meerwasser als Kalziumkarbonat auf dem Metall ablagern und Korallen optimale Wachstumsbedingungen ermöglichen: 120 artifizielle Biorock-Strukturen gibt es bereits.
Stefan Pfister, früherer "Tatort"-Schauspieler und seit Jahrzehnten Restaurant-Besitzer auf Gili Air, ist skeptisch: Der Sandstrand vor seiner Spa-Anlage hat sich um 30 Meter zurückgezogen, während neue Strömungen anderswo Mauern erforderlich machen, seit die Regierung 1998 Riffteile für immer größer werdende Touristenboote sprengen ließ: "Wenn es so weitergeht, dann kannst du den Tourismus vergessen."
Diese Ufermauern sind umstritten: Durch den Aufprall untergraben die Wellen die Mauern und ziehen noch mehr Sand ins Meer. Beate Ratter, Professorin für Integrative Geographie an der Universität Hamburg, beschäftigt sich seit langem mit Küstenmanagement. Globale Erderwärmung sei nur einer von 15 Faktoren für den Anstieg des Meeresspiegels, doch Klimawandel sei nicht der alleinige Sündenbock für sämtliche Umweltprobleme, wenn lokale Maßnahmen versagen. "Wir wissen nicht, was wir sonst gegen das ansteigende Wasser tun sollen", klagt Hidayat Taufiq. "Der Wettbewerb um paradiesischen Inseln in Indonesien ist groß."
Günter Spreitzhofer, geb. 1966, ist Lektor am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien; Arbeitschwerpunkte: (Südost-)Asien, Tourismus, Umwelt & Ressourcen.