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Sorge um Familiensilber der Kommunen

Von Sophia Freynschlag aus Deutschland

Wirtschaft

"Die Österreicher haben den Wert des Wohnungsbestandes noch nicht erkannt." | Privatisierung führt zu einheitlicher Einkommensstruktur der Mieter. | Berlin. Die Einsparungen des Bundes werden auch die Kommunen treffen: Die gemeinnützigen Bauvereinigungen befürchten, dass Städte und Gemeinden ihren Wohnungsbestand verkaufen wollen, um rasch an Geld zu kommen. Karl Wurm, Obmann des Dachverbandes der gemeinnützigen Bauvereinigungen (GBV), warnt die Gemeinden allerdings davor, ihren Wohnungsbestand zu verscherbeln, um für "drei Jahre durchzutauchen".


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"Die Österreicher haben den strategischen Wert des Wohnungsbestandes noch nicht erkannt", sagte Wurm bei einer Berlin-Exkursion des Vereins für Wohnbauförderung, in dem SPÖ-nahe Wohnbauträger vertreten sind. Der Bestand erwirtschafte Erträge und stabilisiere das soziale Gleichgewicht, sagte Wurm, Geschäftsführer der gemeinnützigen Gesellschaften Neue Heimat und Gewog in Wien. Egal ob ein Eigentümer öffentlich, gemeinnützig oder privat ist - entscheidend sei, ob er kurz- oder langfristig denke.

In Österreich wurden 2004 in einer einzigen Transaktion 62.000 gemeinnützige Wohnungen von fünf Bundeswohngesellschaften privatisiert - unter anderem die Buwog, deren Verkauf seit gut einem Jahr Medien und Justiz beschäftigt. Käufer war ein österreichisches Konsortium aus Banken und Versicherungen. 8 Prozent des Wohnungsbestandes in Österreich sind derzeit kommunale Mietwohnungen, 13 Prozent gemeinnützig, 18 Prozent Mietwohnungen von privaten oder juristischen Personen und der Rest Eigentumswohnungen und Hauseigentümer.

"Finanzprobleme nicht nachhaltig gelöst"

In Deutschland verkauften Kommunen hingegen aus Geldnot zwischen 1999 und 2006 in vielen einzelnen Transaktionen 723.000 Wohnungen. Fast die Hälfte der Wohnungen in Deutschland machen private Mietwohnungen aus. Kommunale und öffentliche Wohnungen kommen nur auf sechs Prozent, fünf Prozent entfallen auf Genossenschaften.

"Der Verkauf kommunaler Wohnungsunternehmen löst die Finanzprobleme einer Stadt nicht nachhaltig", sagte Lutz Freitag, Präsident des GdW-Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Eine Wohnungsprivatisierung führe nur selten zur nachhaltigen Budget-Konsolidierung; meist fließe das durch Verkäufe erlöste Geld in den öffentlichen Konsum, aber nicht in den Wohnbau. Übrig bleibe ein Nullsummenspiel, warnt Freitag: Der Verkauf bringe einmalig Geld, aber die Erträge aus dem Wohnungsbestand gehen verloren.

Besonders prekär sei die Situation, wenn öffentliche oder gemeinnützige Wohnungen in die Hand von Hedgefonds geraten, die primär auf Rendite aus sind. Dies sei in Berlin-Hellersdorf passiert: Der wie ein Hedgefonds agierende Immobilienkonzern Level One des Österreichers Cevdet Caner kaufte im großen Stil Plattenbauwohnungen und plante das Prestigeprojekt "Europaviertel" mit Sanierung und Fassadengestaltung. Level One wurde pleite, der eingesetzte Insolvenzverwalter muss die Mieten nun vorwiegend zur Sicherstellung der Versorgung mit Wasser und Energie verwenden. Während umliegende Wohnungen von privaten und öffentlichen Eigentümern saniert wurden, fehle in der Siedlung das Geld für die dringend nötige Sanierung.

Kein Ansprechpartner für Stadtentwicklung

"Kommunale Wohnungsunternehmen sind ein strategisches Investment für städtische Gesellschaften", ist Freitag überzeugt. Überbordende Privatisierung stärke die Spaltung der Gesellschaft: Menschen mit geringer Kaufkraft würden bei Privatisierungen immer verlieren. In solchen Objekten fänden sich somit Mieter mit ähnlicher Einkommensstruktur. Ziel sei aber die Durchmischung der sozialen Schichten und ethnischen Herkunft, um soziale Balance zu gewährleisten und keine Ghettos entstehen zu lassen.

Zudem sei eine Stadtentwicklung bei gestreuten Eigentümerstrukturen kaum möglich, weil die Stadt keinen Ansprechpartner mehr für Stadtentwicklung habe, wenn Wohnungen in Hand privater Investoren sind.