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Sorge um Serbiens Ausrichtung

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

EU-Kommission pocht auf Fortsetzung des Dialogs Belgrad-Pristina.


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Brüssel. Es war Zufall. Doch just an dem Tag, als Serbiens Präsident Tomislav Nikolic zu seinem Antrittsbesuch nach Brüssel kam, war auch eine hochrangige Delegation aus dem Kosovo in die EU-Hauptstadt gereist. Sie bekam einen Anforderungskatalog überreicht, der den Weg zur Visafreiheit für die Bürger des Landes weist. Eines Landes, dessen Unabhängigkeit noch kein serbischer Präsident anerkannt hat. Dass auch er das nicht zu tun beabsichtige, betonte der vor wenigen Wochen angelobte Nikolic einmal mehr. Ansonsten aber bemühte er sich, seine erst seit wenigen Jahren bestehende EU-Affinität in den Vordergrund zu rücken. Es sei offensichtlich, dass sein Land viel Reformarbeit vor sich habe, meinte Nikolic und nannte die Bereiche Justiz, Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität aber auch die Stärkung der Medienfreiheit.

Klärungsbedarf gebe es allerdings bei den bisher getroffenen Abkommen mit Pristina, befand Nikolic. Er möchte diese Vereinbarungen prüfen lassen. Er werde aber alle Absprachen unterstützen, die mit der serbischen Verfassung konform seien und seinem Land keinen Schaden zufügen, stellte Nikolic klar.

Trotz aller Versicherungen aus Brüssel und Belgrad, an konstruktiven Gesprächen interessiert zu sein, bleibt dennoch ein Misstrauen gegenüber dem früheren Verfechter eines Großserbiens bestehen - vor allem in der Region selbst. Und Nikolic leistete auch in den vergangenen Wochen seinen Beitrag dazu. Unter anderem pochte er auf die serbische Sichtweise, wonach das Massaker an tausenden Menschen in der muslimischen Enklave Srebrenica 1995 kein Völkermord, sondern "ein schreckliches Verbrechen" gewesen sei. Die in Kroatien gelegene Stadt Vukovar wiederum bezeichnete er als serbisch. Die spätere Relativierung der Aussage, dass es um die Bevölkerungsstruktur vor dem Krieg gegangen sei, änderte kaum etwas an der Empörung in Kroatien.

Kosovo will Visafreiheit

So musste Nikolic bei seiner feierlichen Amtseinweihung zu Wochenbeginn ohne die sonst üblichen Gratulanten auskommen. Die meisten seiner Amtskollegen aus der Nachbarschaft erschienen nämlich nicht. Die Präsidenten Kroatiens und Sloweniens, die Staatschefs von Mazedonien und Bosnien-Herzegowina: Sie alle weigerten sich, nach Belgrad zu reisen. Nur aus Podgorica, der Hauptstadt Montenegros, war eine Zusage gekommen.

Einen hohen Repräsentanten hat hingegen die EU-Kommission zur Zeremonie geschickt. Doch auch Erweiterungskommissar Stefan Füle machte deutlich, dass die Brüsseler Behörde sich eine Fortsetzung der Annäherungspolitik von Nikolic’ Vorgänger Boris Tadic wünsche. Ebenso klar ist, was die EU sonst noch von Belgrad fordert: eine Weiterführung des Dialogs mit dem Kosovo. Eine Normalisierung der Beziehungen mit dem Nachbarn sei eine Voraussetzung dafür, dass Brüssel die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Belgrad empfehlen könne, sagte Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso nach seinem Treffen mit Nikolic.

Dafür müsste aber zunächst eine Regierung in Serbien gebildet werden, die dann wiederum einen Chefverhandler ernennen kann. Darauf drängt auch Nikolic. Noch immer aber ringen die Parteien nach den Wahlen vom 6. Mai mit der Bildung einer Koalition.

Die Regierung in Pristina wiederum müht sich derzeit um Reiseerleichterungen für die Kosovaren. Das Land ist das einzige in der Region, dessen Bürger ein Visum für die Einreise in die EU brauchen. Um das zu ändern, müssten die Behörden aber weitere Anstrengungen unternehmen. Die Liste der Bedingungen reicht von Dokumentensicherheit über Grenzschutz bis zur Bekämpfung organisierter Kriminalität.

Wie schwierig der Aufbau der Rechtsstaatlichkeit verläuft, zeigen Ereignisse wie der Mord am Vorstandschef der Privatisierungsagentur. Dino Asanaj wurde gestern, Donnerstag, in seinem Büro erstochen. Die kosovarischen Behörden bezeichneten dies als "Feiglingsakt" gegen die demokratischen Institutionen des Landes.