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Sorge um und Liebe für die Nächsten

Von Holger Blisse

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Friedrich Wilhelm Raiffeisen wäre heuer 200 Jahre alt - er wirkt bis heute.


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Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der am 30. März seinen 200. Geburtstag gefeiert hätte, gilt neben Hermann Schulze-Delitzsch (1808 bis 1883) als Pionier der Genossenschaftsbewegung im deutschsprachigen Raum um die Mitte des
19. Jahrhunderts und als Sozialreformer. Raiffeisens Genossenschaften können als eine erfolgreiche Antwort auf die "Soziale Frage" im 19. Jahrhundert verstanden werden - sie haben sich weltweit ausgebreitet.

Raiffeisen wirkte als Bürgermeister im ländlichen Raum - im Westerwald. Er verstand die Darlehnskassen-Vereine als ein Mittel, im Interesse der Menschen zu einer praktischen Ökumene der Tat zu gelangen. In seinen Darlehenskassen sprach Raiffeisen sich gegen jede "Speculations- und Gewinnsucht" aus, die in die Vereine durch zum Beispiel die Zahlung hoher Dividenden hineingetragen würde. Er befürchtete, dass davon die Mitglieder erfasst würden und so Entscheidungen des Vereins darauf gerichtet würden, "recht viele einträgliche Geschäfte zu machen und viel zu verdienen". Er sah die Gefahren, die damit für den Fortbestand der Einrichtungen verbunden sein könnten. Denn es war ihm ein Anliegen, die Vereine auf Dauer anzulegen, damit auch "für die Nachkommenschaft aufs Beste gesorgt" sei. So könne das von einer Familie aufgebaute Vermögen erhalten und an die Kinder und Kindeskinder weitergegeben werden.

Die Sorge um und die Liebe für die Nächsten war Raiffeisen ein Anliegen. Christlicher Glaube war der zentrale Antrieb für seine sozialreformerische Tätigkeit. Auch wenn Raiffeisen selbst protestantisch war, so hatte er doch immer einen interkonfessionellen Ansatz verfolgt. Schon früh, während seiner Ausbildung in Köln, Koblenz und Mayen, kam Raiffeisen in Kontakt mit dem katholischen Glauben. Als Bürgermeister stand er mitunter auch den Bewohnern katholischer Gemeinden vor, und es gab einen Gedankenaustausch mit katholischen Geistlichen, die an seinem Vorbild orientierte Darlehenskassen ins Leben riefen.

Überhaupt waren es sehr oft Pfarrer und Lehrer, die den Ideen Raiffeisens von Anfang an aufgeschlossen gegenüberstanden, sie unterstützten und bei Gründungen und in den Vereinen als Funktionäre mitwirkten. So war es auch in Österreich, wo die Bewegung mit der ersten Gründung in Mühldorf bei Spitz an der Donau 1886 einsetzte.

Spaltungen wegen Religion

Einigen Zeitgenossen ging die im Laufe des Lebens übersteigerte Betonung der christlichen Prinzipien zu weit, sie wandten sich ab und gründeten unabhängige Organisationen. Auch später, als sich in den 1880ern die Genossenschaftsbewegung in Deutschland stark ausbreitete, verzichteten viele Vertreter der jungen Generation auf die Betonung christlicher Grundsätze bei ihrer Arbeit.

Die Meinungsverschiedenheiten hatten sogar zu Spaltungen innerhalb der ländlichen Genossenschaften geführt. So erklärte etwa Wilhelm Haas, die genossenschaftliche Idee sei eine "eminent sittliche und erhabene", und ihre Wirkungen seien "überaus caritative und sozial bedeutungsvolle", aber die dazwischenliegende Arbeit des Tages habe "einen durchaus materiellen, nüchternen Charakter, dessen Nichtbeachtung auf Abwege" führe.

Natürlich war das Bankmodell Raiffeisens nicht auf andere Banken übertragbar, und er erkannte durchaus die Unterschiede zwischen den genossenschaftlich organisierten und den als Aktiengesellschaft tätigen Instituten oder auch den Privatbankiers. Was heute die Politik im Großen vereinheitlichen möchte und doch in Verschiedenartigkeit zu erhalten versuchen sollte, dafür setzte er sich, ausgehend vom Kleineren, in jeder Genossenschaft ein: für das Verlangen nach einer wohlfunktionierenden Gemeinschaft.

Vielleicht hätte er manche heutige Banker aufgerufen: "Kehrt um!" Aber im Sinne des Evangeliums hätte er zuallererst die Mitglieder in den Gemeinden seiner Darlehenskassen zu rechtem Handeln nach seinen Vorstellungen gemahnt. Die Institution, von der er sich Ausgleich und Gegengewicht versprach, gibt es bis heute vielerorts - mit hauptamtlicher Geschäftsleitung und ehrenamtlichem Vorstand: rechtlich selbständige Raiffeisen-Banken als Genossenschaften.

Mehr zum Thema: www.raiffeisen200.at