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Sorgenvolle Freiheit

Von Simon Rosner

Politik

Zahlungsfrist von Nachforderungen kann auf drei Jahre verlängert werden.


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Wien. Die Kreditrückzahlungen laufen, aber immerhin: Nach ein, zwei Jahren läuft auch das Geschäft. Zumindest ein bisschen. Dann kommt das dritte Jahr und mit ihm die erste Nachzahlung für die Sozialversicherung. Es ist ein Moment des Schreckens, den Jungunternehmer in der Regel nicht vergessen, ein bisschen ist diese Nachzahlung zu einem zynischen Initiationsritus für Selbständige geworden: "Und? Wie war Dein erstes Mal?"

Die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVA) war bisher per Gesetz dazu verpflichtet, ihre Forderungen binnen eines Jahres geltend zu machen, was bei nicht wenigen Unternehmern zu argen Liquiditätsengpässen geführt hat. Gerade hatten sie sich noch gefreut, dass das Geschäft ins Laufen kommt, nun ist es auf einmal bedroht.

Ein Gesetzesentwurf, der am Mittwoch den Ministerrat passiert hat, soll der SVA künftig mehr Möglichkeiten geben. Sie kann die Rückzahlung statt nur auf vier auf zwölf Teilbeträge aufteilen und den Zeitrahmen auf drei Jahre erhöhen - zinsenfrei. "Wir dürfen jetzt kulanter sein. Es ist ein großer Erfolg, aber wir hätten uns noch mehr gewünscht", sagt SVA-Obmann-Stellvertreter Peter McDonald. Konkret nennt er eine gesetzliche Erlaubnis, bei Ausgleichsverfahren auf Teilforderungen verzichten zu können. Das Finanzamt darf dies in gewissen Fällen, die Sozialversicherung nicht. Sie muss in Konkursverfahren auf jeden Cent bestehen.

Die Verlängerung des Zahlungs-Zeitrahmens ist nicht die einzige geplante Änderung. Selbständige Mütter, die Wochengeld beziehen, sollen künftig von den Beiträgen zur Sozialversicherung befreit werden, danach, bei Bezug von Kinderbetreuungsgeld, dürfen Gewerbetreibende einer geringfügigen Erwerbstätigkeit nachgehen und müssen ebenfalls keine Beiträge zahlen.

McDonald bezeichnet die SVA als "wesentliche Triebfeder" hinter der geplanten Novelle. Er verweist auf eine Reihe von Änderungen, die in den vergangenen Jahren eingeführt wurden. Seit Jahresbeginn gibt es eine Deckelung bei den Selbstbehalten (fünf Prozent des Einkommens), zudem können Versicherte durch das Erreichen von "Gesundheitszielen", wie es heißt, etwa einer Gewichtsabnahme, den Selbstbehalt von 20 auf 10 Prozent halbieren.

Konflikt mit Selbständigen

Die vielen Anpassungen machen jedoch auch eines deutlich: Es gab dringenden Bedarf dafür. Keine andere Versicherung steht bei ihren Kunden, zumindest bei einem Teil davon, derart in der Kritik wie die SVA. Vor rund zwei Jahren hat sich im Internet die lose Gruppe "Amici delle SVA" formiert, mittlerweile ist daraus eine Bürgerinitiative geworden. Von den zehn Forderungen sind bisher zwei - eine Erhöhung des Wochengeldes für Mütter und soziale Absicherung bei längerer Krankheit - realisiert worden.

Eine Sprecherin der Initiative begrüßt die geplanten Gesetzesänderungen als "Schritt in die richtigen Richtung". Sie sei einst selbst nur knapp an einer Insolvenz vorbeigeschrammt, als die erste große Nachforderung kam. "Es hätte mir massiv geholfen", sagt sie. Die strukturellen Probleme würden bestehen bleiben. Wie auch die Forderungen.

"Wir sind keine Unternehmer im Großformat und wollen das auch nicht. Die Wenigsten wollen Mitarbeiter anstellen, sie wollen einfach nur selbständig arbeiten und davon leben können", sagt die "Amici"-Sprecherin. Es ist vor allem die wachsende Gruppe der Einpersonen-Unternehmen (EPU), darunter nicht wenige aus Kreativbranchen, die mit der SVA in Konflikt gerät. "Gerade für diese Gruppe haben wir unglaublich viel erreicht", sagt Martin Gleitsmann von der Sozialpolitik-Abteilung der Wirtschaftskammer und einst selbst SVA-Obmann.

Trotz Anpassungen scheint das System der SVA mit Selbstbehalten bei jedem Arztbesuch und regelmäßigen Nachzahlungen gerade für die vielen neuen Selbständigen problematisch, von denen mittlerweile nicht wenige in prekären Verhältnissen leben. 17 Prozent der "working poor" sind laut einer Studie des Sozialministeriums selbständig, sie können das Geld, dass sie ein Jahr später als Nachzahlung leisten, kaum weglegen. Doch auch jene, die es können, tun es nicht immer, zumindest in den ersten Jahren. "Die Selbsteinstufung müssen wir unterstützen und verbessern", sagt McDonald. Ein Smartphone-App soll den Selbständigen künftig helfen.