Angela Merkel ist einst angetreten, die Volkspartei CDU nach der Ära von Helmut Kohl von Grund auf gesellschaftspolitisch zu erneuern und wieder mehrheitsfähig zu machen. Heute steht Deutschlands erste Kanzlerin vor einem Scherbenhaufen.
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Der konservative Flügel ist in Auflösung begriffen, ohne dass Merkels heimliche Sozialdemokratisierung der Christlich-Demokratischen Union ihr neue zusätzliche Wähler gebracht hätte.
Zu allem Überdruss regiert die Kanzlerin mit einem Koalitionspartner, der liberalen FDP, der auf die Wirtschafts- und Finanzkrise programmatisch denkbar schlecht vorbereitet war. Die Liberalen hatten sich in ihren Oppositionsjahren während des Booms auf Steuersenkungen und Deregulierungen konzentriert und müssen sich als Regierungspartei jetzt erst wieder mühsam in einer Zeit zurechtfinden, die nach Haushaltskonsolidierungen und mehr staatlicher Kontrolle verlangt.
Es ist aber nicht nur die CDU in einer tiefen Identitätskrise - das allein wäre leicht zu verkraften. Es ist der Typus der Volkspartei, an dem der Zahn der Zeit gefährlich nagt. Auch die deutsche Sozialdemokratie ist stimmenmäßig längst nur noch ein Schatten ihrer eigenen Vergangenheit. Das Polit-Magazin "Cicero" titelt in seiner jüngsten Ausgabe: "SPD - Partei ohne Volk?" In Frankreich und Italien bündeln sich Parteien längst mehr um Politiker mit dem Zug zur Macht als um gemeinsame programmatische Zielvorstellungen.
Und in Österreich? Hier erodiert die politische Integrationskraft von SPÖ und ÖVP zwar langsamer, aber ebenso unübersehbar. Die Flucht in den Populismus, die beide Regierungsparteien inmitten der Krise antreten, ist Beleg für ihre tiefe politische Ratlosigkeit.
Darüber mit Schulterzucken hinwegzugehen, empfiehlt sich nicht. Volksparteien sind - nicht nur in Österreich - unerlässlich für eine stabile und berechenbare Bündelung des Wählerwillens. Tragfähige Ersatzvehikel für diese zentrale politische Aufgabe sind nirgendwo in Sicht. Beiden Großparteien wäre anzuraten, mehr Gehirnschmalz und - ohnehin üppig fließende - Fördergelder in ihre programmatische Weiterentwicklung zu stecken als in lächerliche taktische Spielchen.