Gegenkandidat ist der mutmaßliche Litwinenko-Mörder. | Auch russischer Oligarch Lebedew überlegt Kandidatur. | Moskau. Am 26. April soll der neue Bürgermeister der angehenden Olympia-Hauptstadt Sotschi gewählt werden. Ursprünglich hatten sich nur drei unabhängige ortsansässige Kandidaten und der kommissarische Amtsinhaber Anatoli Pachomow beworben. Vorige Woche nominierte die westlich orientierte Moskauer Oppositionsbewegung Solidarnost überraschend ihren Ko-Vorsitzenden Boris Nemzow für das Amt.
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Die kremlhörige Partei des Rechtspopulisten Wladimir Schirinowski konterte den Schlag der Liberalen, indem sie Andrej Lugowoi ins Rennen schickte - jenen berühmt-berüchtigten Ex-KGB-Agenten, der im Herbst 2006 in London den Dissidenten Alexander Litwinenko ermordet haben soll. Als Großbritannien seinerzeit dessen Auslieferung forderte, ließ sich Lugowoi in die Duma wählen, was ihm Schutz gegen eine mögliche gerichtliche Verfolgung bot. Sonst hat er mit der Politik nicht das Geringste zu tun. Ebenso wenig wie der schwerreiche "Oligarch" Alexander Lebedew, der sein Interesse an einer Kandidatur ebenfalls kundtat.
Der jetzige Regierungschef Wladimir Putin hatte als Präsident den Zuschlag für die Winterolympia 2014 beim IOC persönlich durchgepaukt. Vor einem Jahr begann sich das Personalkarussell zu drehen, als Bürgermeister Viktor Kolodjaschny auf den Sessel des Leiters der staatlichen Baufirma Olimpstroj wechselt. Diese ist für die Errichtung aller olympischen Objekte verantwortlich. Seither lösten sich drei weitere Beamte im Bürgermeisteramt ab.
Bürgerproteste
Es ist eine undankbare Stellung. Einerseits muss der Bürgermeister sich mit den Oligarchen arrangieren, die sich an Olympia goldene Nasen verdienen wollen. Andererseits ist er die erste Adresse für Bürger, deren Häuser diesen Objekten weichen müssen. Bürgerproteste nehmen in Sotschi zu. Landesweit unterstützen 75 Prozent der Bürger die Olympischen Spiele. In Sotschi sind es nur 40 Prozent.
Auch Nemzow übt Kritik an Putins "abenteuerlichem" Olympia-Projekt. Der Oppositionelle, dem in Sotschi gute Siegeschancen nachgesagt werden, war in den 90er Jahren erfolgreicher Gouverneur von Nischni Nowgorod und Vize-Premier in Moskau gewesen. Kurze Zeit galt er sogar als designierter Nachfolger des einstigen Präsidenten Boris Jelzin. Außerdem wurde er in Sotschi geboren.
Was Schirinowski-Günstling Lugowoi anbetrifft, so kann er gegen den überaus populären Nemzow nichts ausrichten und spielt deshalb nur eine symbolische Rolle: Nemzow solle davor gewarnt werden, Putin persönlich herauszufordern, heißt es in einem Kommentar des kritischen Senders Echo Moskaus. Der Ex-Spion Litwinenko habe es getan und es sei "nichts Gutes" dabei herausgekommen. In eine andere Kategorie gehört der Oligarch Lebedew. Der Oligarch, der unter anderem Anteile an der Fluggesellschaft Aeroflot und am Bankenriesen Sberbank hält, kann sich eine Kandidatur locker leisten. Lokale Engagements von Oligarchen sind in Russland nicht ungewöhnlich. So war Roman Abramowitsch Gouverneur der Region Tschukotka im Fernen Osten.