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South Stream auf langer Bank

Von Herbert Hutar

Wirtschaft

Analyse: Gazprom will EU-Recht aushebeln. Österreich hat sich bereit erklärt, das Projekt zu unterstützen, betont aber die Gültigkeit europäischen Rechts. Ein Spießrutenlauf zeichnet sich ab.


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Wien. Wladimir Putins Lieblingsprojekt, die Erdgasleitung South Stream, mit der die Ukraine umgangen werden soll, ist festgefahren. Zwischen Österreich und der EU herrscht Funkstille um den Ende Juni abgeschlossenen Vertrag mit der russischen Gazprom. Denn das, was die Russen wollen, ist EU-rechtswidrig, sagen Experten. Europäisches Recht bestimmt, dass der Gaslieferant nicht Eigentümer der Gasleitung sein darf und dass eine Gasleitung auch anderen Anbietern - gegen Gebühr - offenstehen muss. Dies ist im dritten Energiepaket festgeschrieben, hat Monopole aufgebrochen, den Wettbewerb gefördert und so für günstigere Energiepreise gesorgt. Die Möglichkeit für die Konsumenten, sich den Strom- und Gaslieferanten aussuchen zu können, ist eines der Ergebnisse.

Den Russen gefällt das freilich gar nicht, weil ihr Gas an den Energiebörsen im liberalisierten Markt nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Und so versuchen sie, EU-Recht vor der Welthandelsorganisation WTO auszuhebeln und den einzelnen Vertragspartnern die alten - an Knebelverträge erinnernden - Bedingungen aufzuzwingen: "Unsere Leitung nur für unser Gas", obwohl die OMV die Hälfte der Pipeline auf österreichischem Boden zahlt. Außerdem verpflichten die Russen ihre Kunden zur Gasabnahme in bestimmten Bandbreiten, ob der Kunde das Gas braucht oder nicht. Diese Take-or-pay-Regelungen reicht die OMV auch gern an ihre Großkunden weiter.

Vertrag mit Vorbehalten

Zur Vertragsunterzeichnung über die 50 Kilometer South Stream in Österreich war Kreml-Chef Wladimir Putin persönlich angereist - und OMV-Chef Gerhard Roiss spielte seine Rolle: Er unterzeichnete mit der Gazprom einen allgemein gehaltenen Vertrag über den Bau der Leitung, der die strittigen EU-Rechtsfragen ausklammert. Zusätzlich gibt es einen österreichisch-russischen Staatsvertrag, in dem sich Österreich zur Unterstützung des Projektes bereit erklärt, aber doch die Gültigkeit von EU-Recht unterstreicht.

Das wollen die Russen aufweichen, und dabei spielt die E-Control als österreichische Regulierungsbehörde eine zentrale Rolle: Alles, was die Gazprom an Ausnahmen vom EU-Recht will, muss sie der E-Control vorlegen. Diese kann das dann zur EU-Kommission nach Brüssel als Vorschlag weiterleiten oder von vornherein zurückweisen. Ein Kompromiss könnte so aussehen, dass South Stream erst später und auf Antrag eines neuen Interessenten zu einem bestimmten Prozentsatz geöffnet oder erweitert werden muss. Das letzte Wort hat die EU-Kommission.

Propaganda-Erfolg für Putin

Das bedarf einer günstigen politischen Großwetterlage. Davon aber kann weniger denn je die Rede sein nach dem Abschuss der malaysischen Passagiermaschine höchstwahrscheinlich durch eine russlandfreundliche Soldateska, die 193 Niederländer das Leben gekostet hat und nachdem Sanktionen beschlossen worden sind. Dass die Niederlande oder Großbritannien, Polen oder die baltischen Staaten der Gazprom entgegenkommen, kann sich niemand vorstellen.

Und die anderen South-Stream-Länder? Ungarns Premier Viktor Orbán hat seine Sympathie für den autoritären Kreml-Herren Putin deutlich zur Schau getragen. Serbien gibt sich noch unentschlossen. Bulgarien hat das Projekt gestoppt: zunächst auf Druck der EU wegen undurchsichtiger Auftragsvergaben rund um einen Putin-Freund, der auf der Sanktionenliste steht. Und Bulgarien will jetzt auch eigenes Erdgas durch die South Stream pumpen. Vor ähnlichen Problemen könnte die OMV mit ihrem eigenen Gas aus Rumänien stehen, will aber noch abwarten, wie sich Gazprom verhält.

Österreich hat Putin in der Ukrainekrise zu einem Propaganda-Erfolg verholfen, ohne dass er auch nur einen Kubikmeter Gas über die South Stream nach Europa verkauft hätte. Die EU-Partner, allen voran Schweden, aber auch die EU-Kommission, haben mit Kritik nicht gespart.

OMV-Chef Roiss hat auf kritische Fragen nach Moral und Geschäft von der Versorgungssicherheit für Österreich geredet, obwohl es am Markt Gas genug gibt. Ganz nebenbei war vom Erdgastransit die Rede - ein Riesengeschäft für die OMV, geht es doch bei einer Menge von rund 30 Milliarden Kubikmetern pro Jahr von Russland über die Slowakei nach Italien und Westeuropa um mehr als den dreifachen Jahresbedarf Österreichs. An den Gasspeichern in Österreich ist auch Gazprom beteiligt. Und so musste sich die OMV gegen Gerüchte zur Wehr setzen, der russische Energieriese wolle bei ihr gleich als Großaktionär einsteigen.

Verbrauch sinkt massiv

Das Gasgeschäft bereitet der OMV Kopfschmerzen: Zwar konnte sie den Russen und den Norwegern Preisnachlässe abringen, aber das reicht bei einem Preisverfall um 20 Prozent an den freien Märkten nicht für Gewinne. In Österreich geht der Gasverbrauch massiv zurück: um 15 Prozent allein im ersten Halbjahr, wovon - so schätzten Fachleute - die Hälfte auf den warmen Winter entfällt, was sich wieder ändern kann.

Nachhaltig aber ist der Verbrauchsrückgang in der Elektrizitätswirtschaft: Der Verbundkonzern hat das neue Gaskraftwerk Mellach südlich von Graz - so stark wie drei Donaukraftwerke - eingemottet. Gaskraftwerke in Timelkam in Oberösterreich und in Linz stehen. In Wien werden die Gaskraftwerke nur gefahren, um die Fernwärmeversorgung sicherzustellen. Weil russisches Gas nicht wettbewerbsfähig ist, importiert Österreichs E-Wirtschaft lieber Strom aus dem Ausland. Und die energieintensive Industrie - etwa die Voestalpine - wandert zum Teil aus Europa ab. In den USA ist Gas um zwei Drittel billiger.

Gas gibt es im Überfluss, die Speicher sind voll, teilweise wird auch bereits die Ukraine vom Westen versorgt. Was den Gasverbrauch in Europa wieder ankurbeln könnte, ist die Konjunkturerholung in Südeuropa. Unter dem Strich wird die Importabhängigkeit aber bleiben, denn die Förderung europäischer Gasfelder geht stärker zurück als der Verbrauch, meint Alexander Pögl, Analyst beim internationalen Energiehändler JBC in Wien.

Energiefachleute verweisen immer wieder darauf, dass Russland und zuvor die Sowjetunion trotz politischer Schwierigkeiten stets stabile Lieferanten waren. Und sie nehmen an, dass das auch bei Putin so sein werde. Der allerdings hat von Recht und Vertragstreue seine eigenen Ansichten, wie die Beispiele Krim, Einmischung in der Ukraine oder die Politjustiz im Fall des gestürzten Ölmilliardärs Michail Chodorkowski zeigt. EU-Recht ist für ihn und Gazprom eine ärgerliche Sache, die man mit juristischen Spitzfindigkeiten vor der Welthandelsorganisation WTO zu kippen hofft, was die EU sicher nicht günstiger stimmt.

Putins Lieblingsprojekt ist also blockiert. Ob Günther Oettinger, der als einer der Hauptbremser gilt, als Kommissar das Energieressort behält, ist noch nicht ausgemacht. Aber der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird ein waches Auge auf russische Umtriebe haben.

Ob bis 2017, wenn Putin South Stream anwerfen will, ein solcher Gasmangel herrscht, dass er die EU erpressen kann, ist anzuzweifeln. Eher wahrscheinlich ist, dass die derzeitige Blockade das Projekt verzögert. Das brächte Zeit, um nach Alternativen zu suchen. Flüssiggasterminals an den Küsten für Lieferungen aus Nahost gibt es bereits, sie sind aber wegen des derzeitigen Gasüberflusses unrentabel. Die OMV hat ein solches Projekt bei Rijeka aufgegeben. Sie investiert lieber in eigene Gasfelder in der Nordsee und im Schwarzen Meer.