Zum Hauptinhalt springen

Sowjetische Zwangsarbeiter: Opfer zweier Diktaturen

Von Klaus Huhold

Europaarchiv

Tagung beschäftigte sich mit Schicksal der "Ostarbeiter". | Stalin verfolgte die vermeintlichen Kollaborateure. | Graz. Mit einem in der Geschichtsforschung bisher wenig beachteten Thema beschäftigte sich in Graz eine Tagung des Ludwig Boltzmann-Instituts: Sowjetische Zwangsarbeiter und ihr Nachkriegsschicksal.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Rund 4,4 Millionen Menschen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion zurückgeführt, davon ein Drittel Kriegsgefangene und zwei Drittel Zivilisten. Die Nationalsozialisten hatten diese in der Landwirtschaft und Industrie eingesetzt oder in Arbeitserziehungs- und Konzentrationslagern interniert.

Verlogene Propaganda

Die stellvertretende Leiterin des Ludwig Boltzmann-Institutes für Kriegsfolgenforschung, Barbara Stelzl-Marx, verwies darauf, dass die Betroffenen zunächst von einer sowjetischen Propagandamaschinerie unter Parolen "Wie die Heimat wartet auf Euch!" in den kommunistischen Staat zurückgelockt wurden. Was sie dann aber oft tatsächlich erwartete, zeugt der Brief einer Zwangsarbeiterin, aus dem die russische Historikerin Olga Pavlenko zitierte: "Sobald wir die sowjetische Zone betraten, wurden wir bespuckt und als deutsche Huren beschimpft".

Denn Stalin hatte die Heimkehrer als "Vaterlandsverräter" gebrandmarkt. Dahinter stand die paranoide stalinistische Ideologie, dass die Festung Sowjetunion von Feinden umgeben sei und jeder, der mit diesem Feind auch nur Kontakt hatte, als Kollaborateur zu gelten habe, erklärte der stellvertretende Leiter der Forschungsbabteilung des Menschenrechtszentrums "Memorial Moskau", Nikita Petrov, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Die Zwangsarbeiter erwartete daher nach ihrer Heimkehr ein fürchterliches Schicksal: Viele kamen in Filtrierungslager, andere standen unter ständiger Bewachung des Staates und wurden nur noch für die niedrigsten Arbeiten eingesetzt. Somit wurden die "Ostarbeiter" und Kriegsgefangenen zum "Opfer zweier Diktaturen", wie es der russische Historikers Pawel Poljan treffend benannte.

Der österreichische Versöhnungsfond hat seit dem Jahr 2000 131.974 überlebende Zwangsarbeiter entschädigt, davon rund 60.000 aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Beträge reichen dabei von 1453 Euro für in der Landwirtschaft Eingesetzte bis zu 7630 Euro für Häftlinge in den Arbeitserziehungslagern.

Öffnung der Archive

Auch wenn das Thema damit für die politische Seite abgeschlossen ist, gibt es für die Geschichtsforschung noch viele dunkle Flecken. Diese könnten durch die Öffnung der Archive der ehemaligen Sowjetunion beseitigt werden. Der Kongress in Graz sollte daher auch dazu dienen, ein Netzwerk von internationalen Forschern zu etablieren, meinte der Leiter des Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Stefan Karner.