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In einem Punkt waren sich alle Redner zum Sozialbericht 1997 im Nationalrat am 24. März einig: Das Dokument sei ein ehrlicher und umfassender Bericht über die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der
Bundesregierung. Bei der Interpretation der Fakten und Statistiken liefen dann die Meinungen in alle Richtungen auseinander.
Die soziale Lage stellt sich im Berichtsjahr · quasi als langzeitlicher Zwischenbefund von Haben und Nicht-Haben · folgendermaßen dar:
Õ Die Einkommen aus Besitz und Vermögen nahmen zu, die Lohneinkommen ab. Schlußfolgerung der freiheitlichen Opposition (Herbert Haupt): Dies sei ein Trend in Europa und die sozialistischen
Regierungen seien nicht in der Lage, Lohnempfängern einen entsprechenden Anteil am Gesamteinkommen zu sichern.
Armut und die Frauen
Im Kapitel Armut ergibt sich aus den Statistiken die Aussage, wonach 13 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet seien und 5,2 Prozent tatsächlich als arm gelten. Kinderreiche Familien und
Alleinverdienerinnen umfassen die negative Zielgruppe der Armut. Ridi Steibl (ÖVP) zitierte in diesem Zusammenhang die Forderung nach "Karenzgeld für alle", von der Steibl glaubt, sie bringe
erhebliche Verbesserungen. Erwartungsgemäß mit dem "Gießkannen-Argument" widersprach Annemarie Reitsamer (SPÖ-Sozialsprecherin). Sie meinte, wichtig wäre eine eigenständige Alterssicherung für Frauen
statt die Tendenz zu unterstützen, "Frauen an den Herd zurückzubringen."
Die parlamentarische Debatte über den Sozialbericht entwickelte sich im Kern zu einem Diskurs über die Lage der Frauen · frei nach dem Motto: "Arm · ärmer · Frau". Wenig Mangel an Deutlichkeit in der
Wortmeldung der Liberalen Maria Schaffenrath: Die Situation der Frauen habe sich in keinem einzigen Punkt verbessert. So steige die Arbeitslosigkeit unter Frauen, während die Einkommen stagnieren.
Die Reichen würden indes immer reicher, dies belege die Lohnquote bei den Frauen, Zehntausende müßten von gerade 6.000 Schilling leben, ergänzte der Grüne Karl Öllinger. Dies bestätigte indirekt der
SPÖ-Gewerkschafter Rudolf Nürnberger (Vorsitzender der Metall- und Bergbau-Gewerkschaft). Er räumte ein, seit Jahrzehnten gebe es in keinem einzigen Kollektivvertrag eine eigene Frauenlohngruppe. Es
liege aber bei den Arbeitgebern, den weiblichen Beschäftigten einen gerechten Lohn zu zahlen.
Interpretation der Eckdaten
Der Sozialbericht registriert für 1997 rund 300.000 Beschäftigungslose. Im gleichen Jahr wurden dem Bericht zufolge 400 Millionen Überstunden geleistet. woraus SPÖ-Redner folgern, es gebe nicht zu
wenig Arbeit, diese sei vielmehr ungerecht verteilt. Die Ressortchefin Lore Hostasch versuchte, mit der Treffsicherheit der sozialen Transferleistungen zu punkten. In ihrer Darstellung und nach den
Tabellen im Sozialbericht, würden mehr als 60 Prozent der Sozialleistungen dem untersten Einkommensdrittel der Bevölkerung zugute kommen, lediglich 7 Prozent des obersten Einkommensdrittels kämen in
den Genuß solcher Leistungen. Nach der Sozialstatistik würde über die Hälfte der Sozialtransfers in Pensionistenhaushalte fließen. Die Vertreter der Regierungsparteien (vor allem die
Sozialdemokraten) lasen den Sozialbericht in einem "historischen Kontext" (so Winfried Seidinger). In der historischen Perspektive könne man erkennen, wieviel man in der österreichischen
Sozialpolitik erreicht habe. Karl Donabauer (ÖVP) sekundierte: Österreichs Sozialpolitik reagiere bemerkenswert bedürfnisorientiert. Und sie sei fähig, auf sich ändernde Bedingungen einzugehen.
Soziale Dimension in längeren Zeiträumen
Man darf den Sozialbericht indes nicht nur als jeweilige Jahresmessung betrachten. Sozialpolitik muß für längere Zeiträume gemacht werden und, man müsse Schlüsse für die zukünftige Politik ziehen,
so Hostasch. Auf dieser Linie philosophierte im Plenum auch die Opposition, freilich mit gegensätzlicher Wahrnehmung. Die Politik habe hier massive Defizite · so Grüne und Liberale ·, wenn bei
steigenden Arbeitslosenzahlen das System so reagiere, daß die Leistungen sinken, dann sei Feuer am Dach. Eine richtungsweisende Sozialpolitik müsse auf Verteilungspolitik setzen (Volker Kier). Dieser
Auffassung wollte indes auch Hostasch nicht widersprechen. Sie werde sich zum Sozialbudget stets "offensiv bekennen". Sozialpolitik könne auch ein Motor für die Wirtschaft sein.Õ
Berndt Ender ist Mitarbeiter der ORF-Parlamentsredaktion