· Eine soziale Zeitbombe droht Ehud Baraks zerstrittene und meuternde Koalition zu sprengen. Die Morgenluft witternde Likud-Opposition unterbreitete bereits eine Novelle zur | Selbstauflösung des Parlaments und Ausschreibung von Neuwahlen. Angesichts der schlechten Stimmung im Koalitionslager hat dieser Antrag zumindest in erster Lesung gute Erfolgsaussichten.
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Laut bisherigen Umfragen würde sich Israels Bevölkerung derzeit bei einer Abstimmung über den Frieden mit Syrien und den Abzug von den Golanhöhen eindeutig dagegen aussprechen. Für viele
Menschen in Israel hat die soziale Schieflage einen viel höheren Stellenwert als die Eröffnung einer israelischen Botschaft in der syrischen Botschaft Damaskus.
Auslöser dieses Stimmungsumschwungs und der Abwertung des Friedens war der in diesen Tagen veröffentlichte Sozialbericht 1998, demzufolge 1,02 Millionen Israelis oder 18 Prozent der
Bevölkerung Israels unter der Armutsgrenze leben. Schockierend wirkte die Erkenntnis, dass 440.000 Kinder, 26 Prozent der Jugendlichen unter 14 Jahren, als arm eingestuft werden. Laut der sozialen
Negativbilanz befinden sich auch Familien, deren Haushaltsvorstand einen Job hat, unterhalb der Armutsgrenze, nachdem der Mindestlohn von circa 470 Dollar (466 Euro/6.410 S) im Monat nicht
mehr ausreicht.
36 Prozent der sozial Schwachen leiden unter kärglichen Löhnen und fortwährend ansteigenden Ausgaben in der Lebenshaltung. Etwa 68 Prozent der Angestellten und Beamten im unteren Staatsdienst
verdienen weniger als den gesetzlichen Mindestlohn.
In einigen Regionen des Landes hat die soziale Kluft zwischen Arm und Reich bereits Dimensionen erreicht wie sie in der Dritten Welt existieren. Baraks Versuche, nur seinen Vorgänger Netanyahu für
die Misere verantwortlich zu machen, kommen nicht mehr an. Die Beschwichtigungsversuche der Regierung Barak, dass Investitionen und Wirtschaftswachstum neue Arbeitsplätze schaffen werden,
erwecken kaum Hoffnungen bei den circa 225.000 Arbeitslosen. Israel hatte im Jahre 1999 einen beispiellosen Investitionsboom von vier Milliarden Dollar zu verzeichnen, gleichzeitig jedoch erhöhte
sich die Zahl der Erwerbslosen von 8,6 Prozent auf 9,3 Prozent. Laut letztem Quartalbericht des Jahres 1999 profitierte die Mehrzahl der börsennotierten Unternehmen vom sich abzeichnenden
Wirtschaftsaufschwung. Ihre Reingewinne kletterten um reale 30 Prozent. Dagegen ist die Mehrzahl der Arbeitnehmer gezwungen, den Gürtel noch enger zu schnallen.
Vor diesem Hintergrund wird die Forderung immer lauter, den Sparhaushalt 2000 aufzuschnüren und Sofortmaßnahmen zur Eindämmung der sozialen Misere zu ergreifen. Der Zwang zur
Haushaltsverabschiedung bis zum Jahresultimo ist für die Koalitionspartner eine ausgezeichnete Gelegenheit, Barak und Finanzminister Shohat unter massiven Druck zu setzen, den Sozialetat um noch
200.000 Dollar aufzustocken. In dieser krisengebeutelten Situation wird die termingerechte Budgetverabschiedung immer unwahrscheinlicher. Zwar kann dieser Akt bis Ende März 2000 verschoben werden,
jedoch sollte es dazu kommen, müsste Barak wegen des damit verbundenen Imageschadens und Prestigeverlusts seine Teilnahme an der am 3. Jänner in den USA beginnenden zweiten Verhandlungsrunde mit
Syrien absagen.
Der ultraorthodoxe Koalitionspartner Shas (17 Mandate) ist sich dessen bewusst, dass nur mit seinen Stimmen Haushalt und Friedensprozess eine Aussicht haben. Als Gegenleistung verlangt die
Partei massive Finanzhilfe für ihre insolventen Schulen und Bildungsinstitutionen. Ähnliche ultimative Forderungen stellt auch der religiösnationale Koalitionspartner (sechs Mandate).
Der außenpolitische erfolgreiche Regierungschef Barak hat die schwierige gesellschaftliche Situation verkannt. Das wachsende Lager der Armen und Arbeitslosen lässt sich nicht mehr mit Versprechen für
eine bessere Zukunft abspeisen. Die von der Opposition und dem Gewerkschaftsbund Histradut ausgegebene Parole heißt "Neue Arbeitsplätze jetzt" und die kann Barak nicht aus dem Ärmel zaubern.