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Soziale Ader - aber zu jung, um zu pflegen

Von Rosa Eder-Kornfeld

Politik

Beim Thema Pflegelehre scheiden sich die Geister.


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Wien. Menschen, die in Pflegeberufen arbeiten, eint idealerweise eine ausgeprägte soziale Ader, gepaart mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen. Psychische Belastbarkeit ist ebenfalls gefordert, denn der Umgang mit kranken oder gar sterbenden Menschen kann ziemlich an die Nieren gehen. Aus diesem Grund ist in Österreich der berufliche Einstieg in die Pflege in Form der Pflegeassistenz (vormals Pflegehilfe) erst ab dem 17. Lebensjahr möglich.

Doch warum bis 17 warten? Der ehemalige Lehrlingsbeauftragte der Regierung, Egon Blum, tritt schon seit Jahren vehement für die Schaffung einer Pflegelehre für Jugendliche ab 15 Jahren ein. Als Vorbild preist Blum die in der Schweiz 2003 eingeführte Lehre zum Fachmann/zur Fachfrau Gesundheit ("FaGe").

Schützenhilfe bekam der Vorarlberger dieser Tage vom Team Kärnten. Dessen Parteiobmann Gerhard Köfer verwies auf einen drohenden Personalmangel im Gesundheits- und Sozialbereich in Kärnten und kritisiert, dass genau im Alter zwischen 15 und 17 Jahren, wenn die meisten ihre Berufsentscheidung treffen, keine Pflegelehre für Jugendliche mit sozialer Ader möglich sei.

Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV), sieht das anders. Mit 15 Jahren würden Jugendliche gerade im Abschluss der Pubertät stecken. Sie in einen Beruf "hineinzustopfen", der so hohe Anforderungen stelle wie die Krankenpflege, lehne sie ab. Und: "Pflege ist ein Gesundheitsberuf und kein Gewerbe."

Frohner verweist auf die Novelle des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes (GuKG) aus dem Jahr 2016, mit der österreichweit eine neue dreistufige Ausbildung beschlossen wurde. Die Reform wird nun stufenweise bis 2024 in den Bundesländern umgesetzt.

Auslaufmodell Diplomkrankenschwester

Die diplomierte Krankenschwester ist ein Auslaufmodell. Neben der bereits erwähnten Pflegeassistenz (einjährige Ausbildung) gibt es - neu seit 2016 - die Pflegefachassistenz (zwei Jahre Ausbildung, Mindestalter: 18). Pflegeassistenten können sich auch in einem Jahr zum Pflegefachassistenten, der mehr Kompetenzen und Aufgaben hat, höherqualifizieren. Dafür gibt es weiterhin die Krankenpflegeschulen. Auf der letzten und obersten Stufe steht der "Gehobene Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege", der ab 2024 die Diplomausbildung endgültig ersetzt. Es handelt sich dabei um ein dreijähriges Bachelorstudium an einer Fachhochschule. Entsprechende Lehrgänge gibt es bereits.

"Wir brauchen nicht noch eine zusätzliche Ausbildung, das schafft nur Verwirrung", sagt Frohner, die auf 34 Jahre praktische Berufserfahrung als Diplomkrankenschwester zurückblickt, zum Thema Pflegelehre. Zum Vorbild Schweiz ist sie skeptisch: "Wir wissen aus der Schweiz, dass die Verweildauer in der Pflege keine lange ist." Der Beruf Fachfrau/Fachmann Gesundheit (FaGe) wurde 2003 in der Schweiz wegen des hohen Personalbedarfs im Gesundheitswesen eingeführt. Rund 4000 junge Frauen und Männer haben die Ausbildung seither abgeschlossen, jedoch ist laut einer Studie nur ein Viertel von ihnen in dem Beruf geblieben.

Im Bereich Pflege sind die Berufsaussichten jedenfalls gut, denn der Bedarf an qualifizierten Kräften wird angesichts der demografischen Entwicklung steigen. 2050 wird es laut Prognosen in Österreich eine Million pflegebedürftige Menschen geben, die Zahl der Pflegegeldbezieher wird sich von derzeit 450.000 bis 2050 auf bis zu 750.000 erhöhen.

Die Ausbildungsreform für Pflegekräfte war 2016 mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Grünen beschlossen worden. Kritik war von der FPÖ gekommen, die Verschlechterungen für die Patienten befürchtete. Denn die für die Spitäler billigere Pflegefachassistenz müsse jene Arbeit übernehmen, die vorher von diplomiertem Personal geleistet wurde.

FPÖ-Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch hat bereits 2014 gemeinsam mit anderen FPÖ-Abgeordneten - unter anderem dem heutigem Infrastrukturminister Norbert Hofer - im Parlament einen Entschließungsantrag betreffend Einführung eines Lehrberufs "Pflege und Betreuung" eingebracht. Sie kann der Idee nach wie vor viel abgewinnen. Dabei sollte zu Beginn die Theorie im Vordergrund stehen, und es sollte im Detail festgelegt werden, welche Pflegetätigkeiten und Betreuungsmaßnahmen ab welchem Lehrjahr unter Anleitung oder selbständig durchgeführt werden. Nach drei Jahren seien die Lehrlinge 18 Jahre alt, dann könne man ihnen auch "weniger schöne Dinge" zumuten.

"Mit 16 dürfen jungeLeute ja auch schon wählen"

Jene Jugendlichen, die sich für die Pflege entscheiden, würden genau wissen, warum sie das tun: "Man sollte ihnen mehr Eigenständigkeit zutrauen. Mit 16 dürfen junge Leute ja auch schon wählen", betont Belakowitsch. Es müsse auch sichergestellt werden, dass die gesetzlichen Regeln betreffend Beschäftigung von Jugendlichen eingehalten werden.

Die SPÖ ist gegen die Einführung einer Pflegelehre. In den Krankenpflegeschulen werde aus guten Grund das Mindestalter von 17 Jahren gefordert, denn "in keinem anderen Beruf ist die psychische und physische Belastung derart groß. Man würde 15-Jährige täglich mit schwerem Leiden, Tod, Pflege von hilflosen Menschen oder schweren Demenzfällen konfrontieren. Das ist aus Sicht der SPÖ für einen Heranwachsenden eine überfordernde und unzumutbare Belastung".

Mit dem neuen dreistufigen Ausbildungsmodell werde versucht, den Einstieg in die Pflege auch für Umsteiger oder Wiedereinsteiger leichter und attraktiver zu machen. Die Wirkung dieser Neuordnung werde sich aber erst in ein paar Jahren zeigen.

Würde man einen Lehrberuf Pflege installieren, wäre zudem für die Erstellung des Lehrplans nicht mehr das Gesundheitsministerium, sondern das Wirtschaftsministerium zuständig, was aus Sicht der SPÖ auch aus inhaltlichen Gründen "nicht zielführend" sei.

Aus der ÖVP verlautete, Klubobmann und Sozialsprecher August Wöginger werde sich das Schweizer Modell zur Pflegelehre demnächst vor Ort ansehen.

Unterdessen läuft im Vorarlberger Sozialunternehmen Aqua Mühle seit 2011 ein Pilotprojekt in Form einer Ausbildungskombination von Betriebsdienstleistungslehre und Pflegehilfe. Das Modell hat Blum in Zusammenarbeit mit dem Land Vorarlberg, der Wirtschaftskammer und der Schule für Gesundheits- und Krankenpflege erarbeitet.